EuGH-Urteil zu Kündigungsfristen: Deutschland diskriminiert Jüngere
Der Europäische Gerichtshof moniert die Berechnung von Kündigungsfristen in Deutschland. Das Urteil könnte zu einem Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht führen.
FREIBURG taz | Das Arbeitsrecht in Deutschland diskriminiert junge Beschäftigte. Dies entschied gestern der Europäische Gerichtshof (EuGH). Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kündigte bereits eine Nachbesserung des Bürgerlichen Gesetzbuches an.
Konkret geht es um die Berechnung der Kündigungsfristen. So gilt in Deutschland die Regel: je länger ein Mitarbeiter zum Betrieb gehört, desto länger kann er sich auf den Verlust der Arbeit einstellen. Allerdings spielen Beschäftigungszeiten bis zum 25. Lebensjahr dabei laut Gesetz keine Rolle.
Der EuGH hält diese Ausnahme für diskriminierend. Es gebe keinen sachlichen Grund, die Betriebszugehörigkeit von jungen Arbeitnehmern einfach zu ignorieren. Die Bundesregierung hatte argumentiert, dass jüngere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt leichter wieder einen Job finden.
Dies ließ der EuGH aber überraschenderweise nicht gelten. Etwas spitzfindig hielt er dagegen, dass in Einzelfällen auch die Kündigungsfrist von älteren Arbeitnehmern verkürzt sein könne - wenn diese schon deutlich vor dem 25. Geburtstag bei dem jeweiligen Unternehmen die Arbeit aufgenommen hätten.
Zu prüfen hatte das EU-Gericht den Fall der heute 31jährigen Angestallten Seda Kücükdeveci. Vorgelegt hatte ihn das Landesarbeitsgericht Düsseldorf. Kücüdeveci arbeitete seit dem 18. Lebensjahr bei einem Essener Büroartikel-Hersteller. Als ihr Anfang 2007 gekündigt wurde, geschah dies mit nur einmonatiger Frist. Richtig wären laut EuGH aber vier Monate Kündigungsfrist gewesen, weil Seda Kücükdeveci schon zehn Jahre bei diesem Betrieb beschäftigt war.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte das Urteil, Arbeitgeber zeigten sich enttäuscht. Der EuGH habe in "bewährtes deutsches Recht" eingegriffen.
Streit wird es in Deutschland aber vor allem über die Begründung des Urteils geben. Denn die EuGH-Richter beriefen sich auf einen "allgemeinen Grundsatz" des Europarechts, der unabhängig von konkreten EU-Richtlinien gelte und dem nationalen Recht vorgehe. Eine Altersdiskriminierung sei demnach in der EU generell verboten.
Der EuGH bestätigte damit sein Urteil im Fall Mangold aus dem Jahr 2005. Konservative Juristen in Deutschland sahen darin eine Kompetenz-Überschreitung des EuGH, weil der EuGH ein allgemeines Verbot der Altersdiskriminierung frei erfunden habe. Es gebe keineentsprechende gemeinsame europäische Verfassungstradition.
Obwohl auch das Bundesverfassungsgericht ständig Verfassungsgrundsätze frei erfindet, hoffen die Konservativen jetzt, dass Karlsruhe den EuGH rüffelt und erklärt, dass die entsprechenden Luxemburger Urteile in Deutschland nicht anwendbar sind. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ein - ebenfalls frei erfundenes - Kontrollrecht gegenüber dem EuGH vorbehalten.
Az: C-555/07
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