■ Ethnische Konflikte gefährden Nigerias junge Demokratie: Blutbad im Sommerloch
Nigeria entwickelt sich zu einem brodelnden Kessel ethnischer Konflikte. An die 200 Menschen sind in den vergangenen zehn Tagen bei wechselseitigen Pogromen zwischen südnigerianischen Yoruba und nordnigerianischen Haussa ums Leben gekommen. Aufgehetzte Jugendliche, eigentlich halbe Kinder, haben mit Macheten und anderen einfachen Waffen ihre ethnischen Feinde bis in ihre Zufluchtsorte gejagt und ihnen die Köpfe abgehackt.
Es sind nicht die einzigen gewaltsamen Konflikte des Vielvölkerstaates Nigeria mit seinen über 400 Ethnien. Im Niger-Delta, wo das Erdöl des Landes gefördert wird, tobt ungebrochen ein Aufstand bewaffneter Milizen, gepaart mit zunehmend blutigen Auseinandersetzungen zwischen zerstrittenen Gruppen. In vielen anderen Ecken des Landes entstehen immer wieder obskure Streitigkeiten auf ethnischer Grundlage. Zumeist entzünden sie sich an der kommunalen Verwaltungsstruktur, an einem Unmut über eine vermutete Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsteile gegenüber anderen.
Viele dieser Konflikte ließen sich durch eine sorgfältige Renovierung der aus der Militärdiktatur geerbten lokalen Institutionen entschärfen. Die Unruhen zwischen Yoruba und Haussa hingegen betreffen die beiden größten, mächtigsten und selbstbewußtesten Ethnien des Landes, deren Führer diametral entgegengesetzte Vorstellungen über die Zukunft Nigerias haben. Wenn dieser alte Streit sich jetzt in Gewalt entlädt, ist das ein Zeichen für tieferliegende Probleme und ein Anlaß für höchste Sorge.
Als das Militär in Nigeria nach über 15 Jahren Diktatur im Februar dieses Jahres freie Wahlen zuließ und im Mai die Macht an den gewählten Präsidenten Obasanjo abgab, fehlte es nicht an Hinweisen, der Demokratisierungsprozeß sei keinesfalls abgeschlossen, sondern beginne gerade. Nach dem Ende der Militärherrschaft müsse eine grundlegende Debatte um Nigerias Identität und politische Struktur beginnen, um das auf Ausbeutung und Gewaltherrschaft begründete bisherige Staatswesen zu überwinden. Aber umgesetzt worden ist nichts. Obasanjo regiert seelenruhig mit einem vordergründig den USA abgeguckten und in der Wirklichkeit auf der Beständigkeit der alten Interessen ruhenden politischen System. Er verläßt sich in seinen Entscheidungen über die Zukunft des Landes auf Expertenringe und Beratergremien ohne verbriefte Mitspracherechte der Bevölkerung. Als gäbe es nichts zu tun und als könne sich Nigeria ein Sommerloch leisten, lehnt sich der Präsident zurück und wartet auf eine wirtschaftliche Gesundung als Ersatz für politische Reformen.
Das reicht nicht. Obasanjo muß jetzt schnell handeln. Und seine ausländischen Freunde, die ihn so sehr bedrängten, Präsident zu werden, sollten ihm auch jetzt auf die Füße treten. Dominic Johnson
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