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Essen und gegessen werden

■ Eine australische Puddingposse in vier Portionen

Albert ist ein sonderbarer Geselle. Er läuft auf spindeldürren Beinen, eine Schüssel auf dem Kopf. Wer ihn besitzt, kann Pudding essen, soviel er will. Zweimal gepfiffen und die Schüssel gedreht, schon verändert er auch noch seinen Geschmack. Mal schmeckt er nach Grieß, mal nach Rhabarbergrütze oder Karamel. Albert, die Hauptfigur in diesem Kinderbuch, ist eben ein richtiger Zauberpudding, erfunden von einem gefräßigen Schiffskoch in einer dunklen Polarnacht. Der „Nimm-weg-und- komm-wieder-Pudding“ ist aber für seine Besitzer – das sind ein bärtiger Matrose, ein stummelfüßiger Pinguin und ein redegewandter Koala – keineswegs eine reine Freude. Er piesackt sie gern, und gute Manieren sind ihm eher fremd. Denn Albert ist geradezu erpicht darauf, gegessen zu werden:

„Rosinen, Bienen, Mehl und Magen,

Bärte, Buchsbaum, Bollerwagen,

Fleisch und Flaschen, Bier und Bein,

Laß das Jammern und hau' rein!“

Kommen Alberts Besitzer dieser Aufforderung nicht nach, kann der eigensinnige Wackelpeter recht launisch, ja geradezu griesgrämig werden. Sehr zu ihrem Ärger läuft er dann am liebsten auf seinen furchtbar dünnen Beinen davon und läßt sich auch schon einmal von Fremden verspeisen. Trotzdem wollen die drei Freunde ihren mürrischen Albert um keinen Preis aus der Hand geben, schon gar nicht an die listigen Puddingdiebe – das haben sich Seemann Bill Barnacle, Pinguin Sam Sawnoff und Koala Bunyip Bluegum sogar geschworen. Das hochnäsige Oppussum und der trunksüchtige Wombat aber versuchen mit allerlei schmutzigen Tricks, den Wunderpudding zu klauen. Letztlich, wie soll es anders sein, natürlich ohne Erfolg.

In seiner Heimat Australien ist „Der Zauberpudding“ längst ein Kinderbuchklassiker, der in einem Atemzug mit Lewis Carrolls ähnlich bizarren Abenteuern von „Alice im Wunderland“ genannt wird.

Die Geschichte um den mürrischen Albert erschien dort schon 1918 und erlebte seitdem 36 Auflagen. Geschrieben und illustriert hat sie Norman Lindsay. Auf dem fünften Kontinent war er einer der bekanntesten politischen Karikaturisten. Seinen „Magic Pudding“ verfaßte er, weil ihm die meisten Kinderbücher nicht gefielen. Jetzt, nach über sieben Jahrzehnten, hat der Wunderpudding endlich den Weg vom anderen Ende der Welt nach Deutschland gefunden, dank eines pfiffigen Hamburger Kleinverlegers. Dem waren die hiesigen Kinderbücher zu trocken, und deswegen schien ihm eine Übersetzung dieser turbulenten Spaßgeschichte gerade richtig.

Ein Glücksgriff, ein Glücksfall auch für den deutschen Kinderbuchmarkt. Norman Lindsays Buch nämlich strotzt nur so von grotesken und komischen Situationen, die, wie es sich für einen Pudding gehört, nicht in Kapiteln, sondern in Portionen erzählt und schwungvoll serviert werden. Eingestreute Verse und Gedichte lockern die absurde Rahmenhandlung um den wiederholten Puddingdiebstahl auf, und die Zeichnungen des australischen Autors ergänzen das unernste Treiben mit einer skurrilen Bildersprache. Da ist beispielsweise zu sehen, wie ein Polizist mit einem viel zu großen Helm dem dicken Bürgermeister eine Banane in den Mund stopft, nur damit dieser nicht in Tränen ausbricht – daß die Obrigkeit kräftig auf die Schippe genommen wird, ist von Norman Lindsay durchaus beabsichtigt. Aber auch seine Helden, die mutigen Pudding-Verteidiger, kommen nicht ungeschoren davon. So fallen sie aus purer Neugier auf plumpe Tricks der Puddingdiebe herein, und in den Besitz ihres Schatzes kommen sie auch nicht gerade auf die feine Art.

Mit verspielten Albernheiten und albernen Anspielungen ist das Buch reichlich gespickt. Wie in Slapstickfilmen werden im „Zauberpudding“ Nasen verbogen und falsche Bärte gesucht, werden Feuerwehreinsätze vorgetäuscht und Gegner in den Sack gesteckt. Diese Mischung von unbeschwertem und zugleich spannendem Unsinn gibt der Phantasie viel Spielraum, und das ohne jeglichen pädagogischen Fingerzeig.

Nur eines trübt die deutsche Fassung, die offenbar sehr eng an das australische Original angelehnt ist: bei jüngeren Kids könnte der Lesefluß durch englische Namen, Floskeln und einige unnötige Fremdwörter ungewollt gehemmt werden. Doch zum Trost sind da ja noch die zauberhaften Bilder in Schwarz-Weiß. Sie tragen viel zum Verständnis bei und reizen ganz nebenbei die Kleinsten auch zur Inbesitznahme mit Buntstifen. Bernhard Mehnke

Norman Lindsay: „Der Zauberpudding – Die Abenteuer des Bunyip Bluegum“. Aus dem Englischen von Christiane und Carsten Jung. Olaf Hille Buchverlag, Hamburg 1992, 152 S., 22 DM

(Die Hamburger Bücherhalle empfiehlt das Buch für Kinder ab acht Jahre.)

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