■ Erichs Erbe: Es wird, wie es war
In diesen Zeiten muß man ja ab und zu daran erinnern. Das erste deutsch-deutsche Grundgesetz lautet: Der Ostdeutsche ist dumm, faul und demokratieunfähig. Er ist überflüssig.
Das zweite Grundgesetz lautet: Das erste Grundgesetz gilt nur mit Einschränkungen. Der Ostdeutsche ist, leider, auch ein Wähler, wenn auch ein dummer, fauler und demokratieunfähiger. Er wird alle vier Jahre einmal gebraucht. Aber wie gebraucht man einen ostdeutschen Wähler?
Da fängt das Problem und das Buch des Ostberliner Satirikers Mathias Wedel an, denn die Ostdeutschen sind „das einzige Volk der Weltgeschichte, das mit dem Versprechen auf eine schöne Währung zum Harakiri zu bewegen war“. Aber Wedel gibt kräftig Nachhilfe. Er trifft mit seinem polemischen Rundumschlag den Ostwähler so genau und so schwer, daß jeder Hardcore- Westler seine wahre Freude daran hat: Der Ostdeutsche ist nicht dumm, faul und demokratieunfähig, sondern er denkt mit, ist ehrlich und äußert immer seine Befindlichkeit – was noch viel schlimmer ist. Er fühlt sich als Opfer und wählt die Partei der tief Beleidigten (PdtB). Seine Avantgarde ist die Klasse der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter. Der Ostwähler ist Systemgegner – und dabei immer staatstragend. Er dient der neuen Republik als loyaler Beamter. Revolutionen muß man nicht befürchten. „Die Fünfte Kolonne der kommunistischen Internationale fährt Karussell auf den körpergerechten Federstühlen in den Bürokojen.“ Das Fazit des Buches: Im Osten wird es, wie es war.
Wedels Ratschlag an die Parteien ist niederschmetternd: „Jeder politische Verein ... fügt sich übel zu, will er die Wähler aus dem Osten assimilieren.“ Aber Parteien kennen keinen Schmerz. Sie wollen den Ostwähler erobern – egal wie. Wedel ruft ihnen fröhlich hinterher: „Diese Wähler könnt ihr haben. Und behalten. Nehmt sie! Alle!! Und sofort!!!“ Bei Risiken und Nebenwirkungen fressen Sie ihren Arzt oder Apotheker. Jens König
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen