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Es war erheblich“

Unselds Projekt: Der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und seinem Verleger ist mehr als das Porträt einer großen Freundschaft  ■   Von Frauke Meyer-Gosau

Auf einem Foto von 1961 sieht man sie nebeneinander. Der eine mit dem Habitus eines starrköpfigen Konfirmanden, im engen Anzug durch die Schülerbrille strikt geradeaus blickend. Der andere wie in einer angehaltenen Bewegung, eine Haarsträhne fällt ihm in die Stirn, Anzug, Hemd und Krawatte sitzen tadellos. Aufmerksam betrachtet er die lebende Statue eines Schriftstellers der Sechzigerjahre neben sich: der Verleger seinen Autor, Siegfried Unseld Uwe Johnson.

Beide haben einander viel zu verdanken, aber dass sie sich, wenn es darauf ankommt, auch nichts schenken, kann man der Aufnahme ebenfalls ansehen. Mit einem Telegramm vom 13. Juli 1959 – „Begruesse Sie herzlich. Stehe Ihnen jederzeit zur Seite“ – beginnt diese wechselhafte Geschichte einer nahen persönlichen Beziehung, die zugleich eine enge Produktionsgemeinschaft war. Uwe Johnson, gerade 25 Jahre alt, war eben erst seinem Romanmanuskript aus der DDR in die BRD hinterhergereist, denn Verleger und Autor hatten gefunden, dass das Erscheinen der „Mutmaßungen über Jakob“ für Uwe Johnson auch unter Pseudonym Gefahr bedeutete. Bevor er, der den Staatssicherheitsdienst im Roman porträtiert hatte, selbst sein Opfer wurde, fuhr Johnson mit der S-Bahn nach Westberlin.

Wie aus einem, der ein Buch geschrieben hat, nach allen Regeln der Verlegerkunst eine Figur im Betrieb gemacht wird, kann man danach dem Briefwechsel ebenso entnehmen wie das Wachsen einer im Entscheidenden immer verlässlichen Freundschaft. Denn dieser Verleger kümmert sich nicht nur um die wirkungsvolle Präsentation seines Autors in der literarischen Öffentlichkeit, er hilft auch mit Wohnadressen und Empfehlungsschreiben und setzt ein monatliches Salär aus: Er stiftet, soweit möglich, Sicherheit. Die braucht gerade Johnson, wie sich im Laufe der Zeit zeigt, besonders dringend, Unseld mag das gespürt haben.

Aber es gibt auch noch ein tieferes Motiv für das fürsorgliche Engagement: Uwe Johnson ist Siegfried Unselds Projekt. Gerade drei Monate ist er nun seit dem Tod von Peter Suhrkamp 1959 allein verantwortlich für den Verlag und hat mit Johnson, dessen erstes Manuskript er zwei Jahre zuvor abgelehnt hatte, zum ersten Mal auf einen „eigenen“ Autor gesetzt. Der setzt dafür biografisch alles auf eine Karte. Nicht viel später wird man Johnson als Mitglied des „inneren Kreises“ um den Verleger erleben, neben Hans Magnus Enzensberger und Martin Walser einer der drei maßgeblichen Köpfe, die bei größeren Entscheidungen zu Rate gezogen werden.

Diese Konstellation ergibt so etwas wie eine Ideal-Konkurrenz der Söhne, und Johnson, extrem verletzbar, verwundet gerade deshalb andere nicht ohne Lust – auch Siegfried Unseld. Doch trifft er hier auf einen, der nicht minder empfindlich, nicht minder von seiner Position überzeugt und ebenso treffsicher ist wie sein Gegenüber. Dies zeigt sich in den schweren Krisen, die das Verhältnis zu bestehen hat – zwei Besessene verhaken sich da ineinander. Und finden beide dann doch wieder glaubwürdige Worte für ihre Zuneigung, und man ahnt: Eben weil sie noch jeden Konflikt miteinander ohne Schonung ausgetragen haben, hat diese Freundschaft Bestand.

Was für ein Material für den Versuch, einen Autor, einen Verleger zu verstehen! Doch entsteht hier über das Bild zweier Besonderer hinaus schließlich auch ein Mosaik der Kulturgeschichte der Bundesrepublik, das dieses Buch zu einem einzigartigen Dokument macht. Denn die historischen Ereignisse zwischen dem Ende der Fünfziger- und der Mitte der Achtzigerjahre lassen beide Briefpartner ja nicht unberührt.

Und so sieht man nicht nur einen Autor und einen Verlag bedeutend werden, man nimmt auch teil an den Fährnissen der Gruppe 47, an der „Spiegel-Affäre“, den Folgen der deutschen Teilung, den kulturellen und politischen Erdbeben des Jahres 1968, an Auseinandersetzungen um den deutschen Antisemitismus und die deutsche Teilung – Zeitgeschichte im Widerschein der Biografie. Das liegt natürlich zuerst am Welt-Interesse der Schreibenden selbst. Nicht zum Geringsten aber ist es auch den Herausgebern Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger zu danken, die mit Anmerkungen und Verweisen jenes Netz aus Biografie, Kultur und Geschichte spannen, in dem die Briefe zu sehen sind.

Am Ende steht die private Tragödie. Uwe Johnson, nach dem Zerbrechen seiner Ehe in furchterregender Einsamkeit auf der englischen Insel Sheppey lebend, stirbt Ende Februar 1984 an Herzversagen. „Die Einsamkeit dieses Toten ist schrecklich, und die Tatsache, dass Gesine unsterblich ist, kein Trost“, notiert Unseld nach dem Begräbnis.

Ein Trost über persönliches Unglück kann auch dieses Buch natürlich nicht sein. Doch wird es dem Autor Johnson nun endgültig zu einem Platz neben der Hauptfigur seiner „Jahrestage“ verhelfen. „Wir waren hier. Es war erheblich“, hatte Gesine einmal in Johnsons Namen dem Verleger mitgeteilt. Der hat das hiermit in aller Freundschaft bestätigt.

Uwe Johnson und Siegfried Unseld: „Der Briefwechsel“. Hrsg. und komm. von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger. Suhrkamp 1999. 1.219 Seiten. 68 DM

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