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Es lohnt sich, konservativ zu sein

Längst segelt auch die Labour Party ganz patriotisch unter dem Union Jack, der früher den Wahlkampfbroschüren der Tories vorbehalten war

aus London RALF SOTSCHECK

Die zweite Amtszeit, die er sich gewünscht hat, wird Tony Blair morgen bekommen: Man muss kein Prophet sein, um dieses Ergebnis der britischen Parlamentswahlen vorauszusagen. Schwieriger wird es schon bei der Frage, was der Premierminister mit der satten Mehrheit anfangen will, die ihm die Wähler voraussichtlich bescheren. Er will die begonnenen Reformen fortsetzen, hat Blair selbst angekündigt.

Doch nicht alles hat sich verändert seit dem 1. Mai 1997, als Labour nach 18 Jahren Tory-Herrschaft an die Macht kam. Immerhin: Der Mindestlohn ist eingeführt worden, die Rentner haben etwas mehr Geld bekommen, der Etat für Bildung und Gesundheit ist erhöht worden – was sich bisher allerdings kaum ausgewirkt hat.

Insgesamt hat Labour jedoch weniger Geld ausgegeben als die Tories in ihrer letzten Amtszeit, und daran wird sich auch in Zukunft nur wenig ändern. Die Folge ist, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich unter der Labour-Regierung vergrößert hat. Blair ist weit von seinem Ziel entfernt, die Kinderarmut innerhalb einer Generation aus der Welt zu schaffen. In den vergangenen vier Jahren hat sich in diesem Bereich nichts bewegt – im Gegenteil: Die Zahl der „armen“ Familien, die weniger als 60 Prozent des landesweiten Durschnittseinkommens zur Verfügung haben, ist unter Labour sogar angewachsen.

Zwar sind auch die Löhne und Gehälter seit 1997 um 2,3 Prozent pro Jahr gestiegen. Unter der Tory-Regierung von Margaret Thatcher waren es jedoch 2,6 Prozent. Das ärmste Fünftel der Bevölkerung musste sich unter Labour sogar mit einem jährlichen Einkommenszuwachs von nur 1,4 Prozent begnügen. Das reichste Fünftel konnte dagegen um das Doppelte zulegen.

Blair selbst gibt zu verstehen, er habe in seiner ersten Amtsperiode zunächst einmal seine Kompetenz unter Beweis stellen wollen. Nach seiner Wiederwahl wolle er radikaler vorgehen, sagt er – und verweist auf Thatcher: In ihrer zweiten Amtszeit zwischen 1983 und 1987 hat sie die Bergarbeiter besiegt, die Privatisierung von Staatseigentum vehement vorangetrieben und den linken Rat von Groß-London abgeschafft.

Solchen Ankündigungen zum Trotz deutet nichts darauf hin, dass Blair seine konservative Politik aufgibt: Durch sie hat er die Wechselwähler der Mittelschicht auf seine Seite gezogen. An einen Kurswechsel glaubt auch der Economist nicht. Das Wirtschaftsblatt empfiehlt zum ersten Mal die Wahl der Labour Party – weil sie die bessere Tory-Politik mache (siehe Kasten). „Die Partei hat eine Mitte-rechts-Politik bei den meisten Themen betrieben“, schreibt die Zeitschrift, „ihre makroökonomische Politik war orthodoxer als die ihrer Tory-Vorgänger.“

Darüber hinaus hat Blair der Verbrechensbekämpfung und dem Kampf gegen „Scheinasylanten“ Priorität eingeräumt – lange bevor Oppositionsführer William Hague mit dem Thema in den Wahlkampf zog. Bis 2006 will Blair 6.000 neue Polizisten rekrutieren. Asylbewerber, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen schneller abgeschoben werden. In Blairs Wahlkampfreden fallen oft Worte wie „Patriotismus“. Der Union Jack, früher den Wahlkampfbroschüren der Konservativen vorbehalten, weht längst auch bei der Labour Party.

Dem moderat linken Parteiflügel passt der eingeschlagene Kurs nicht. Die gemäßigt linke Parteiströmung Fabian Society wird Blair gleich am Freitag mit einem Diskussionspapier konfrontieren. Sie verlangen, dass der Premier dringend etwas gegen die Ungleichheit in der britischen Gesellschaft unternimmt. Ihr Generalsekretär Michael Jacobs sagt: „Wir benötigen eine stärkere und mutigere politische Führung. Blair darf sich in seiner zweiten Amtszeit nicht auf eine breite, aber inhaltsleere Unterstützung verlassen.“

Eine andere Labour-Organisation, Progress, will auf einer Konferenz am 7. Juli eine Strategie ausarbeiten, wie sie von links Druck auf Blair ausüben kann. „Bisher kam der Druck immer nur von rechts“, sagte einer der Organisatoren, allesamt durchaus Blair-Anhänger. „Wir können nicht noch einmal vier Jahre zuschauen, wie Tony Blair auf die Agenda der Daily Mail reagiert.“

Verdächtig bedeckt gehalten hat sich Labour bislang bei der Umweltpolitik. Mehrere umstrittene Projekte, die zur Zeit in der Schublade ruhen, werden nach den Wahlen ihre Auferstehung erleben – darunter die Erweiterung des Londoner Flughafens Heathrow. Mehr als zwei Milliarden Pfund wird die fünfte Abflughalle kosten. Die öffentliche Anhörung dauerte vier Jahre, für den Abschlussbericht benötigte man weitere 20 Monate. Seit Dezember liegt der Bericht dem Transportminister und Blair-Stellvertreter John Prescott vor. Es ist bereits durchgesickert, dass er dem Projekt grünes Licht geben will. Herausrücken will Labour damit erst nach der Wahl.

Dasselbe gilt für die Umwidmung des Northumberland Nationalparks in einen Truppenübungsplatz – und ebenso für eine 120 Millionen Pfund teure Umgehungsstraße in Hastings, die mitten durch ein Naturschutzreservat verlaufen soll. Solche Projekte, fürchtet Blair, würden genau jene Wechselwähler aus der Mittelschicht verschrecken, die ihn vor vier Jahren an die Macht gebracht haben.

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