: Es liegt am Euro
Jetzt will Berlin doch zum New York des Ostens werden: Die Kunstmesse „art forum berlin“ ist trotz sinkender Börsenkurse noch größer geworden
von HARALD FRICKE
Einer war dagegen. Die Galerie Contemporary Fine Arts nimmt nicht am „art forum berlin“ teil. Drei Wochen nach dem Attentat auf World Trade Center und Pentagon wollten Nicole Hackert und Bruno Brunnet nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, und das heißt im Kontext einer Kunstmesse logischerweise: verkaufen, verkaufen, verkaufen.
Natürlich befindet sich auch das „art forum berlin“ nach den Anschlägen in Amerika in einem Dilemma. Die Lähmung hält an: Erst war davon die Rede, dass man die Veranstaltung absagen müsse, aus Solidarität mit New York. Dann aber wurde eine Pressemitteilung verschickt, in der es hieß, man wolle mit „Engagement und der fortgesetzten Arbeit für Kunst und Kultur ein Zeichen setzen und mit vorsichtigem Optimismus in den Alltag zurückkehren“. Vier von den zuletzt 18 angekündigten amerikanischen Galerien sind trotzdem zu Hause geblieben.
Das Problem ist weit verzweigt. Zum einen sind viele der großen US-Sammler momentan noch nicht wieder bereit, in ein Flugzeug nach Übersee zu steigen. Andererseits ist mit den sinkenden Börsenkursen überhaupt das Kaufinteresse an Kunst geschrumpft. Kein anderer Kulturzweig hängt so sehr von der schwankenden Ökonomie ab, und nirgendwo sonst sind die Grenzen zwischen institutioneller Lobbyarbeit und privaten Geldern so fließend. Deshalb braucht man Synergien, gerade auf der Messe. Im Hamburger Bahnhof findet eine Ausstellung mit chinesischen Künstlern statt, auf der Messe wird sich eine Talkrunde mit der veränderten Kunstlandschaft in Asien beschäftigen – und erstmals gibt es drei Galerien aus China, die mit ihren Ständen beim „art forum“ vertreten sind. Den Bogen zu Amerika hätte die Andy-Warhol-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie schlagen sollen, die nun aufgrund der Attentate eine Woche später als geplant am 6. Oktober eröffnet.
Vor Ort wird diese zugespitzte wirtschaftliche Abhängigkeit des Kunstbetriebs dennoch kaum auffallen. Das Angebot ist im sechsten Jahr der Messe noch ausufernder geworden. Immerhin sind mit 177 beteiligten Galerien aus 28 Ländern fast 30 Prozent mehr dabei als zum Start 1996. Daran hat auch die Situation der arg angeschlagenen Bankgesellschaft Berlins als bisheriger Hauptsponsor des „art forum“ nichts geändert. Während zunächst befürchtet wurde, dass ohne die Gelder der Bank auch die Messe keine Überlebenschance haben würde, findet sich jetzt schon auf der Homepage www.art-forum-berlin.de ein Hinweis auf die Öffnungszeiten der nächsten vier Jahre. Das schafft Zuversicht.
Außerdem gibt es auch in diesem Jahr einigen Grund zu freudigen Spekulationen. Es liegt am Euro, von dem ein Galerist aus der Gipsstraße weiß: Wenn am 1. Januar 2002 die neue Währung kommt, dann sieht es schlecht aus um Schwarzgelder und illegale Konten. Kunstkäufe sind da ein probates Mittel zum einigermaßen verlustfreien Tausch. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass jede Menge großformatiger Fotografie von Andreas Gursky, Thomas Struth oder Beat Streuli angeboten wird, und eine Skulptur des britischen Bildhauers Tony Cragg mit 320.000 DM den Preisrekord hält. Interessanter stellt sich ohnehin die Entwicklung im Off-Bereich dar.
Selten zuvor waren so viele project spaces beim „art forum“ vertreten wie in diesem Jahr, das Spektrum reicht von den konzeptuellen Gruppenarbeiten der britischen Locus+-Galerie bis zu den Independent-Heroes von „Maschenmode“ in der Torstraße, die früher auch den wenig legalen „Dirt“-Club betrieben haben. Offenbar ist der neue Anti-Mainstream mittlerweile endlich auch auf der Messe angekommen.
Oder ist es nur die letzte Konsequenz aus der kompletten Professionalisierung von Mitte? Schließlich sind in letzter Zeit gerade die erfolgreichen Neugründungen an den Rand abgewandert, weil ihnen der Tourismusrummel rund um die Auguststraße nicht ins Konzept einer seriösen Galeriearbeit passte. Pünktlich zum „art forum“ sind Max Hetzler, chouakri/brahms, Büro Friedrich und carlier/gebauer in die S-Bahnbögen an der Jannowitzbrücke gezogen, weil die Räume dort mehr wie Kunstvereine aussehen als nach Berliner Muffparterre; und auch in der Zimmerstraße verfügt etwa die Galerie Arndt & Partner inzwischen an die 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Christoph Blase hat über den Trend zur „Abmittung“ in einem Kommentar auf www.blitzreview.de nüchtern festgestellt: „Kunst ist kein Lebensgefühl und kein Katalysator.“ Nach zehn Jahren, in denen sich die Kunstszene als Trüffelschwein der Immobilienbranche in provisorischen Locations durchgewurschtelt hat, will Berlin nun offenbar doch noch zum New York des Ostens werden. Es wird sich zeigen, ob der Markt das hergibt. Vielleicht schon auf dieser Messe.
Bis 7. 10. 12–20 Uhr, Messegelände unter dem Funkturm. Termine unter www.art-forum-berlin.de
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