piwik no script img

Es lebe die US-russische Freundschaft

Trotz aller scharfen Worte wollten die Außenminister der USA und Rußlands auf ihrem gestrigen Treffen den Boden für eine umfassende Zusammenarbeit der beiden Großmächte legen  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Rücksicht auf innenpolitischen Widerstand in beiden Ländern gegen eine Verständigung beherrschte das gestrige Treffen der Außenminister Rußlands und der USA, Alexander Kosyrew und Warren Christopher, in Genf. Vor dem Treffen hatte Kosyrew die Nato-Erweiterungspläne nach Osteuropa heftig attackiert – dies soll aber nach Darstellung russischer wie US-amerikanischer Diplomaten lediglich der Beruhigung der innenpolitischen Kritiker Präsident Jelzins in der Armee und der nationalistischen Parteien dienen. Präsident Clinton steht angesichts der republikanischen Kongreßmehrheit vor einem ähnlichen Dilemma. Aus diesem Grunde wurden im Vorfeld des Außenministertreffens in Washington wie in Moskau eher Differenzen als Gemeinsamkeiten betont – sei es beim Thema Tschetschenien, russisch-iranische Nukleargeschäfte oder eben zur Nato-Erweiterung. Dies wurde auch von der gemeinsamen Pressekonferenz von Christopher und Kosyrew erwartet.

Bis zum Jahr 2000: Rußland in die Nato

Das macht aber nichts. Die Clinton-Administration und der engere Führungskreis um Präsident Jelzin haben sich in der Frage der Nato-Osterweiterung inklusive einer Mitgliedschaft Rußlands schon sehr viel weitergehend verständigt, als die von russischen Politikern und Militärs in den letzten Tagen öffentlich geäußerte harsche Kritik an der westlichen Militärallianz vermuten läßt. Clinton wie Jelzin setzen derzeit auf Zeitgewinn – in der Hoffnung, nach den Präsidentschaftswahlen in beiden Ländern im nächsten Jahr freiere Hand für die Umsetzung ihrer Vorstellungen von der „strategischen Partnerschaft“ Rußlands und der USA zu haben. Erst dann sollen konkrete Entscheidungen fallen; dies bestätigten hohe Diplomaten beider Seiten am Rande des Außenministertreffens.

Nach den bisherigen Konsultationen, für die federführend die stellvertretenden Außenminister Georgi M. Mamedow und Steve Talbott zuständig sind, sollen die beitrittswilligen ost- und mitteleuropäischen Staaten zumindest in einer ersten Phase der Nato lediglich entsprechend dem „französischen Modell“ angehören: das heißt Mitgliedschaft in der politischen, nicht aber in der militärischen Struktur der Allianz. Auf den Territorien dieser Staaten sollen – wenn überhaupt – nur in Krisenzeiten Atomwaffen oder Truppen aus westlichen Nato-Staaten stationiert werden. Auch Rußland selber soll noch vor dem Jahr 2.000 Nato-Mitglied nach dem französischen Modell werden.

Die strategische Entscheidung, eine russische Nato-Mitgliedschaft innerhalb von drei bis fünf Jahren anzustreben, traf die politische Führungsspitze um Jelzin im Herbst letzten Jahres. Sie war Folge der Erkenntnis, daß Rußland weder die Auflösung der Nato erreichen noch auf Dauer die Aufnahme mittel- und osteuropäischer Staaten verhindern kann.

Von US-Seite gilt als Basis für eine Verständigung das gemeinsame Interesse an Stabilität im atlantisch-europäisch-pazifischen Raum und eine weitgehend übereinstimmende Analyse der Hauptbedrohungen: die weitere Fragmentierung Rußlands und anderer GUS-Staaten sowie die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und von ballistischen Raketen.

Über die Nato-Erweiterung hinaus diskutieren Washington und Moskau daher auch über die Möglichkeit, eine sicherheitspolitisch von Rußland geführte GUS innerhalb der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Nato gleichzustellen. Geplant sind gemeinsame Frühwarnsysteme zur Aufklärung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Raketen und eine Kooperation bei der Entwicklung und Produktion taktischer Raketenabwehrsysteme. Rüstungsexperten erwarten hier einen Zukunftsmarkt von 60 Milliarden US-Dollar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen