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■ Es lebe die Recherche!Tango am Telefon

Im taz-Kleinanzeigenteil stößt man dann und wann auf ein Kleinod. Zum Beispiel dieses: „Der Computer als Scheidungsgrund. Journalistin sucht Paare oder Einzelpersonen, die sich aufgrund Computerbesessenheit eines Partners getrennt haben. Honorar. 030-61 680 163“. Nicht ganz logisch, denke ich, Einzelpersonen, die sich getrennt haben – aber egal, euch von der Boulevardpresse werd' ich's zeigen! Erst mal brauche ich einen neuen Namen. Reiner Quatsch vielleicht? Reiner Quark? Zu offensichtlich. Ich, Christof Kehr, nenne mich Rainer Quast und rufe mal an.

Am anderen Ende ist die Tango-Redaktion, der Proll-Stern von Gruner + Jahr. Ich gebe mich als Spiel- und Computersüchtiger aus, der mit seinem PC ein Zockersystem entwickeln wollte und erzähle ein Melodram: Ins Spielkasino gegangen, Frau vernachlässigt, Schulden gemacht, Ehefrau reicht die Scheidung ein. Meine Frau und ich sollten uns für ein kleines Telefoninterview zur Verfügung stellen, meint Tango. Eine Stunde nach dem ersten Kontakt ruft ein Fotograf an, möchte Rainer Quast sprechen. Meine (wahre) Frau, noch nicht eingeweiht, nimmt den Hörer ab und sagt wahrheitsgemäß: „Hier wohnt kein Rainer Quast.“ – „Psst, psst!!“, zischele ich ihr zu. Dann tut sie so, als ob ich gerade nicht da sei. Später wird der Fotograf ein Bild von mir und meinem Laptop im Garten machen.

Ein bißchen Schiß habe ich, daß die Journalisten vielleicht mal die Telefonauskunft anrufen und keinen Rainer Quast finden. Doch nach vier Telefonaten mit mir und meiner Cousine, die sich als vom Schicksal und Computer gebeutelte Quast-Ehefrau ausgibt, kommen sie nicht mehr auf den Gedanken.

Viele Informanten scheinen sich zunächst nicht zu melden; ein paar Tage später steht die Anzeige wieder in der taz. Am Ende aber erscheint der Artikel doch – im aktuellen Tango-Heft dieser Woche (siehe Ausriß). Christof Kehr

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