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Es lebe die Ehre eines Oberstleutnants

■ Landgericht Ansbach sieht Transparent mit der Aufschrift „A soldier is a murder“ als Beleidigung an / Angeklagter habe „Mörder“ und nicht „Mord“ gemeint / Individuelle Soldatenehre geht über das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung

Aus Ansbach Bernd Siegler

Harlangen ist ein stilles, abgeschiedenes Dörfchen im westlichen Mittelfranken. Im Herbst 1988 war jedoch die Ruhe vorbei. Panzer zerpflügten die Felder, richteten ihre Kanonenrohre auf die wenigen kleinen Häuser, GIs gingen mit geschulterter MP zum Einkaufen - das Nato-Manöver „Certain Challenge“ probte den Ernstfall. Fünf Tote und über 50 Millionen DM Sachschaden, lautete die Bilanz am Ende der Nato-Übung.

Christof Friedmann, damals 31 Jahre alt, war entsetzt. Er war nach Harlangen gekommen, um Freunde zu besuchen, und sah sich plötzlich inmitten eines gigantischen Manövers. Der Student und konsequente Kriegsgegner schritt daher zur Tat. Er schrieb auf ein Bettuch mit roter Farbe „A soldier is a murder“ und hängte es, wie die Polizei akribisch ermittelte, „mittels eines Volleyballnetzes“ zwischen einen Obstbaum und einen Telegrafenmasten, so daß die Oberkante des Tuches „50 Zentimeter parallel zur Grasnarbe“ verlief. „Das Transparent sprang geradezu ins Auge“, befand in erster Instanz der Rothenburger Amtsrichter Enz im September letzten Jahres und verurteilte den Studenten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen a 35 DM. Staatsanwalt Meyer war damit noch nicht zufrieden. Er hatte eine Verurteilung wegen Volksverhetzung verlangt und damals auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung plädiert.

Ins Rollen gebracht hatte das Verfahren Bundeswehr -Oberstleutnant Eike Übe aus Hamburg. Er war am 15. September 1988 unterwegs, um die Truppen zu beobachten, und wollte auf 100 Meter Entfernung bereits das Tuch erkannt haben. Als ein des „Englischen kundiger Soldat“ sah er mit dem Spruch die „englischsprachige Nato“ beleidigt. Erst auf Hinweis des Angeklagten war dem Oberstleutnant und auch dem Staatsanwalt in 1. Instanz aufgefallen, daß der Satz übersetzt „Ein Soldat ist ein Mord“ heißt. „Murder“ ist „Mord“, „Mörder“ heißt dagegen „murderer“. Staatsanwalt Meyer, Oberstleutnant Übe und auch Richter Enz war dieser kleine Unterschied egal. Sie unterstellten Friedmann, er habe „irrtümlich“ „murder geschrieben“, jedoch in Wahrheit „murderer“ gemeint. Damit habe er, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, „undifferenziert alle Tötungsdelikte von Soldaten im Einsatz als Mord“ bezeichnet. Enz sprach von einem „Wertungsexzeß“, der nicht mehr durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt sei. Erschwerend war für Richter Enz noch der Ort von Friedmanns Tun hinzugekommen: „Gerade in den dünnbesiedelten, abgelegenen Gebieten kann die Intoleranz einen Nährboden finden, der - vielleicht sogar von publikumswirksam agierenden Nichteinheimischen bereitet - handgreiflichen Druck und Schlimmeres hervorzubringen vermag“.

Auch in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Ansbach steht der Student auf verlorenem Posten. Richter Kniep von der 2. Kleinen Strafkammer ist Friedmanns Anliegen intellektuell nicht gewachsen, kaschiert dies mit einer barschen Verhandlungsführung. „Das verstehe ich einfach nicht“, herrscht er den Studenten an, der Satz sei doch grammatikalisch falsch. Mehrfach führt Friedmann aus, daß er nicht den einzelnen Soldat gemeint habe, sondern ausdrücken wollte, daß alle Armeen der Welt „Tötungsmaschinen“ seien, deren Auftrag, Ausbildung und Ausrüstung auf das Töten abziele. Der Soldat werde als Bestandteil einer Armee „aktiv und passiv zum Mörder“. Friedmann versucht den Unterschied am Beispiel „Ein Soldat ist ein Wahnsinn“ und „Ein Soldat ist ein Wahnsinniger“ klarzumachen - doch vergebens. Kniep schüttelt den Kopf, winkt ab. „Das begreife ich nicht.“

Mehr Gefallen findet Kniep an Oberstleutnant Übe. Zackig steht er vor dem Richtertisch: „Ich habe es nicht nötig als Soldat dieses Landes, mich beleidigen zu lassen.“ Auf Befragen räumt Übe ein, daß er auf die Sätze „Krieg ist Mord“ oder „Krieg ist Verbrechen“ ebenfalls mit einer Anzeige reagiert hätte. Daß auch Udo Lindenberg in einem Lied von „Politikern, die Menschen zu Mördern machen“, spricht, 'Die Zeit‘ die Überschrift „Krieg heißt immer Morden“ verwendet und im Oktober letzten Jahres ein Frankfurter Arzt freigesprochen worden war, der einem Jugendoffizier der Bundeswehr „Alle Soldaten sind potentielle Mörder - auch Sie“ vorgeworfen hatte, verunsichern den „standfesten“ Militär. „Muß ich mir diese Fragen gefallen lassen?“ fragt er den Richter. Er muß. Er muß sich sogar von Friedmann auf seine Englischkenntnisse testen lassen. Der Student hält ihm einen Zettel hin mit der Aufschrift: „A soldier is a manslaughter“. Wie aus der Pistole geschossen übersetzt Übe: „Ein Soldat ist ein Menschenschlächter.“ Friedmann korrigiert ihn, „Manslaughter“ heiße Totschlag, und erinnert Übe an dessen Aussage in der 1. Instanz, wonach das Töten von Soldaten im Krieg rechtlich als Totschlag bewertet werden könnte. Da unterbindet Kniep weitere Fragen und bewahrt Übe vor weiteren Schnell- und Fehlsch(l)üssen.

Die Hinweise von Friedmanns Rechtsanwalt Scherzberg, daß sogar Nato-Generalsekretär Wörner jeden „modernen“ Krieg als „Verbrechen“ bezeichnet hatte, daß der Erzbischof von Fulda ungestraft „Abtreibung ist Mord“ sagen kann und daß wohl kaum ein Sportler den Satz „Sport ist Mord“ zur Anzeige bringen würde, beeindrucken Richter Kniep nicht. Ebensowenig der Diskurs, ob die Nato überhaupt ein beleidigungsfähiges Kollektiv sei oder die Vorlage einer Werbeanzeige der Bundeswehr, in der diese vorgibt, gerade die Meinungsfreiheit zu schützen. Kniep will sich keine Urteilsschelte von Politikern und Militärs einhandeln und schließt sich dem Staatsanwalt an, daß Friedmann vom „objektiven Sinngehalt“ her „Mörder“ gemeint habe. Durch diese „plakative Aufschrift“ habe sich jeder Soldat angesprochen fühlen können, es gebe nun mal kein „Recht zur Diskriminierung“. Den Tatbestand der Volksverhetzung sah Kniep nicht als erfüllt an, Übe sei zwar in seiner Ehre gekränkt worden, jedoch nicht in seinem Wert als Mensch. Der Angeklagte habe jedoch eine Vielzahl von Personen beleidigt, und das „ohne konkreten Anlaß“. „Als ob nicht Kanonenrohre, gerichtet auf das Haus, in dem ich wohnte, genug Anlaß gewesen wären“ (Friedmann).

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