berliner szenen: Es ist seine Bank, er gehört dazu
Irgendwie und irgendwo hat er den Winter überstanden, denn seit ein paar Wochen ist er wieder da. Er trägt immer noch einen dunkelblauen Parka und eine vor Dreck starrende Jeans.
Beim ersten Sehen in diesem Frühling stand er im Gebüsch hinter seiner Bank und sein Gesicht wirkte auf mich wie ein altes Puppengesicht mit erschreckten Kinderaugen. Dieser Eindruck stimmte von vornherein nicht oder er hat sich mit den tagtäglichen Begegnungen abgenutzt, jedenfalls hat er für mich inzwischen nur noch ein gerötetes Trinkergesicht mit verformter Nase und wässrigen Augen.
Er ist ein Strich in der Landschaft und immer allein. Neulich kaute er bedächtig ein trockenes Brötchen, aber in der Regel hat er ein Plastikbier von Lidl oder Aldi neben sich stehen.
Wenn die Bank in dieser sehr belebten Ecke ganz hinten am Kanal im sogenannten Dreiländereck Kreuzberg, Treptow, Neukölln nicht von jungen Leuten besetzt ist, sitzt er da still vor sich hin. Aber er ist auch gut zu Fuß und scheint seine Wege zu haben, denn man sieht ihn mal durch diese, mal durch jene Straße laufen und wundert sich fast über seinen Bewegungsradius.
Er verbringt die Nächte nicht mehr auf der Bank wie noch im Herbst, ohne Kissen oder Decke. Einmal habe ich ihm eine hingelegt, aber er hat sie nicht angenommen, und dann war sie verschwunden.
Letztes Jahr dachte ich, er warte auf den Tod, aber das denke ich jetzt nicht mehr. Er sitzt, schläft, läuft und trinkt. Wer weiß, was er mit sich ausmacht und was er mal für ein Leben hatte. Sympathisch sieht er nicht aus, eher verschlagen und bösartig, was doch eher nur andere Wörter für geprügelt und verängstigt sind. Aber vielleicht hat er es hier ganz gut. Richtig alt ist er auch nicht, so zwischen vierzig und fünfzig vielleicht.
Es ist seine Bank, und er gehört dazu. Katrin Schings
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