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„Es ist schlimmer als der Tod“

Der jugoslawische Bürgerrechtler Dobroslav Paraga spricht von 1.500 politischen Gefangenen in seiner Heimat  ■ I N T E R V I E W

Dobroslav Paraga ist einer der führenden Dissidenten Jugoslawiens. 1980 kam er als 19jähriger für vier Jahre in Haft, weil er zusammen mit Ernest Brajder die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert hatte. Sein Mitgefangener Brajder starb in der Untersuchungshaft. Nach seiner Freilassung forderte Paraga Schadensersatz für die schwere Folter, die er erlitten hatte, was ihm erneut eine Bewährungsstrafe einbrachte. Der 28jährige kroatische Jurastudent ist mittlerweile aus seiner Heimatrepublik verbannt und lebt in Slowenien. Gegenwärtig hält er sich in den USA auf und erreichte die Verabschiedung einer Resolution des Senats für die Einhaltung von Menschenrechten in Jugoslawien. Ein Grund für die Medien zu Hause, mit einer großangelegten Kampagne ihm die Zusammenarbeit mit terroristischen kroatischen Emigrantenorganisationen zu unterstellen.

taz: Sie stehen immer noch unter Bewährung. Was bedeutet das konkret?

Dobroslav Paraga: Weil ich mich in den letzten zehn Jahren aktiv für die Achtung der Bürger- und Menschenrechte eingesetzt habe, habe ich schließlich per Gerichtsbeschluß auch jene minimalen Bürgerrechte, die ich hatte, eingebüßt: das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht, öffentlich aufzutreten, zu publizieren und zu arbeiten.

Wieso durften Sie jetzt trotz des Entzuges der Bürgerrechte und anderer Repressionen, von denen Sie berichten, ausreisen? Vergangenen Dezember konnten Sie die Einladung zur 40jährigen Jubiläumsfeier der UN-Erklärung nicht wahrnehmen, weil man Ihnen die Reisepapiere verweigert hatte.

Damals bin ich in einen 17tägigen Hungerstreik getreten. Daraufhin hat der Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Verhalten der jugoslawischen Regierung offen gerügt. Auch der kroatische Erzbischof und Kardinal Franjo Kuharic hat in seiner Weihnachtspredigt über meinen Fall und über andere Menschenrechtsverletzungen in Jugoslawien gesprochen. Am nächsten Tag kam die Aufforderung, die Reisepapiere abzuholen.

Sie haben dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eine Liste mit aktuellen Fällen von Menschenrechtsverletzungen überreicht mit der Bitte um Unterstützung sowohl seitens der Bürger der Bundesrepublik als auch ihrer Regierung.

Diese Liste enthält Angaben über 2.500 Gewissensgefangene einschließlich derjenigen, die noch auf ihr Urteil warten. Hinzu kommen noch 40 Namen von denjenigen, die viele Jahre nicht nur im Gefängnis, sondern auch in psychiatrischen Anstalten verbracht haben, ohne daß die Öffentlichkeit davon etwas erfahren hat. Im einzelnen habe ich auf das Schicksal des Schriftstellers Adem Dema?i hingewiesen, der als Marxist seit 28 Jahren in verschiedenen Lagern sitzt. Dann auf den Fall von Ivo Males, der schon acht Jahre in einer psychiatrischen Anstalt eingesperrt ist, weil er an der Tür seines Hauses eine Wandzeitung angebracht hat, auf der stand, daß das jugoslawische Regime korrupt sei. Und dann der Fall von Azem Vllasi, bei dem man von einem konstruierten politischen Prozeß sprechen kann.

Worum geht es bei Vllasi?

Er ist der ehemalige Vorsitzende des „Bundes der Kommunisten“ der Provinz Kosovo und Ex-Mitglied des ZK Jogoslawiens. Er ist „schuldig geworden“ nur deswegen, weil er Albaner ist. Seine Inhaftierung hat der Führer des serbischen Parteivorstands, Slobodan Milosvic, durchgesetzt, um damit den Appetit der entflammten großserbischen Leidenschaft zu stillen. Vllasi wird vorgeworfen, daß er den „organisierten Aufstand“ der albanischen Kosovo-Bevölkerung Ende Februar dieses Jahres angestiftet haben soll. Dabei handelte es sich um eine erste große, gewaltlose Demonstration gegen die Unterdrückung und Entrechtung eines Volkes in Jugoslawien. Die Bergarbeiter von Trepca sind in den Schächten in den Hungerstreik getreten und haben den Rücktritt der neuen Provinzregierung gefordert. Ihre Aktion wurde jedoch mit einem Manöver beantwortet: Die Regierung trat zum Schein zurück, machte das aber sofort nach Beendigung des Streiks rückgängig, und Vllasi wurde als Urheber und Organisator des Streiks verhaftet. Man hat inzwischen mehr als 100 Leute verhört, die aber bezeugen konnten, daß er die Beendigung dieses Streiks gefordert hatte.

Sie haben über schwere psychische und physische Torturen, denen Sie während der Haft ausgesetzt waren, heute noch zu leiden. Hatten Sie keinen Rechtsbeistand?

Trotz aller Bemühungen der Verteidigung - auch mein Vater ist Rechtsanwalt - war ich der Willkür der jugoslawischen Sicherheitsorgane ausgeliefert. Ich glaube, daß man mich trotz meiner Jugend von Anfang an zum Schweigen bringen wollte, unter anderem auch durch Scheinhinrichtungen.

Sie sind Mitbegründer und Vorsitzender des „Kroatischen Komitees für Menschenrechte“...

Udn auch des „Dr. Korjagin Komitees“ für den Widerstand gegen den Mißbrauch der Psychiatrie. Beide Komitees setzen sich für Menschen aller Nationalitäten ein, so daß die Bezeichnung „kroatisch“ bei dem ersteren keine nationale Einschränkung bedeutet.

In Belgrad gibt es eine Organisation mit dem Namen „Jugoslawisches Forum für Menschenrechte“. In welcher Beziehung steht Ihr „Kroatisches Komitee für Menschenrechte“ zu dieser Organisation?

Ich muß darauf hinweisen, daß das „Forum“ den wahren Grad der Unterdrückung in Jugoslawien herunterzuspielen versucht. Ein Beispiel: Ende des vorigen Jahres hat die jugoslawische Regierung eine Amnestie für wegen Verbaldelikten (Paragraph 133) Verurteilte erlassen. Aber es gibt immer noch 300 Menschen, die in Gefängnissen sitzen oder auf ihre Verurteilung warten. Ich habe auf diesen Widerspruch im Namen des „Kroatischen Komitees für Menschenrechte“ öffentlich hingewiesen und das „Forum“ gefragt, wieso man angesichts dessen Glückwunschtelegramme verschicken und behaupten kann, es sei niemand mehr wegen Verbaldelikten in Haft.

Aufgrund welches Paragraphen werden Dissidenten in Jugoslawien verurteilt?

Es sind jetzt etwa 1.500 Menschen aufgrund der Paragraphen 114 und 136 des jugoslawischen Strafgesetzbuches in Haft. Dieses Gesetz kriminalisiert Aktivitäten, die nach der Deklaration zu den grundlegenden Menschenrechten gehören. Wenn Sie sich jetzt mit mir verabreden würden, aktiv bei dem „Kroatischen Komitee für Menschenrechte“ mitzuarbeiten oder meinetwegen beim „Sozialdemokratischen Bund Sloveniens“ oder in einer ähnlichen Vereinigung, so fällt das unter die Zuständigkeit des Strafgesetzbuches, wenn der Staatsanwalt meint, daß es eine Bedrohung der staatlichen Ordnung darstellen könnte. Und so könnten wir vor Gericht zitiert und verurteilt werden, nur weil wir der Meinung waren, daß wir von unseren Bürgerrechten Gebrauch machen könnten.

Nach welchen Paragraphen sind Sie verurteilt worden?

Zuerst nach dem § 133, Verbaldelikt, und später wurde dann der § 131, Vereinigung zwecks feindlicher Aktivitäten gegen Jogoslawien, dazugenommen. 1987 mußte ich mich wegen des § 197 des Kroatischen Strafgesetzbuches, Verbreitung falscher Informationen, verantworten.

Das Interview führte Anica Felica

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