: „Es ist ein Tabu verletzt worden“
■ Bei allen Parteien in Hessen große Betroffenheit über die Morde an den Polizisten / Krisensitzungen der Landesregierung / Polizeiführung und Opposition im Flughafen / Generalbundesanwalt Rebmann vor Ort
Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Das Entsetzen über die Polizistenmorde an der Startbahn West hat im direkt betroffenen Bundesland Hessen gestern zu hektischen Sitzungsaktivitäten aller Parteien geführt. Das Landeskabinett unter Vorsitz von Ministerpräsident Walter Wallmann und die Fraktion der CDU tagten in den Konferenzräumen des Frankfurter Flughafens seit den frühen Morgenstunden in Permanenz; nur wenig später traf auch die Spitze der SPD–Fraktion am Flughafen ein. Noch vor Sitzungsbeginn hatte Wallmann Konsequenzen angekündigt. Die Vorgänge im Startbahn–Wald hätten alles überschattet, was er bisher an Schrecklichem erlebt habe. Während einer Sitzungspause machte der CDU– Fraktionsvorsitzende Hartmut Nassauer gegenüber der Presse dann deutlich, welche Konsequenzen gemeint waren: Einführung des Vermummungsverbots, Wiedereinführung des alten Landfriedensbruch–Paragraphen und Versammlungsverbot an der Startbahn West. Nach mehr als vier Stunden Wartezeit für die rund hundert Journalisten im Terminal trat dann die Spitze der Hessen–SPD an die Mikrofone. Landesvorsitzender Hans Krollmann erklärte im Gegensatz zu Nassauer, daß es jetzt nicht die Zeit sei, nach gesetzlichen Patentrezepten zu rufen: „Wer glaubt, daß die Schüsse auf die Polizeibeamten durch ein Vermummungsverbot hätten verhindert werden können, der denkt absurd.“ Aufgrund der schrecklichen Ereignisse an der Startbahn werde allerdings auch die hessische SPD erneut über ein Ver sammlungsverbot an der umstrittenen Piste diskutieren, „wenn das rechtlich machbar ist“. Auch der Fraktionsvorsitzende der hessischen Grünen, Joschka Fischer, appellierte an all die Menschen, die ihr Recht auf friedliche Demonstrationen weiter wahrnehmen wollen: „Geht jetzt auf die Straße, fordert, daß endlich Schluß gemacht wird mit der Gewalt.“ Mit den Schüssen auf die Polizeibeamten sei ein Tabu verletzt worden. Fischer: „Die Gewalt verzerrt die eigenen Züge bis zur Unkenntlichkeit.“ Die Landtagsfraktion der Partei veröffentlichte eine Erklärung, die einen „rechtsstaatlichen Appell“ auch an die Polizei enthält. Wer an einem gesellschaftlichen Zustand interessiert sei, in dem sich Verbrechen wie das an der Startbahn nicht mehr wiederholen, der könne kein Interesse an einer Spirale der Gewalt haben, wie sie vor zehn Jahren den „deutschen Herbst“ geprägt habe. Schon im Verlauf des Vormittags war auch Generalbundesanwalt Kurt Rebmann in Frankfurt eingetroffen. Gegen 13 Uhr veröffentlichte die Bundesanwaltschaft eine Presseerklärung, wonach in einer der in der Nacht durchsuchten Wohnungen diverser Startbahngegner eine Pistole vom Kaliber 9 mm sichergestellt worden sei. In den Körpern der er– und angeschossenen Polizisten wurden ausschließlich 9–mm–Projektile gefunden. Ob die sichergestellte Waffe die Tatwaffe sei, müsse allerdings noch durch ballistische Untersuchungen geklärt werden. Die gefundene Waffe soll einem Polizisten am 8.11.86 während einer Demonstration gegen die Plutoniumfabrik ALKEM in Hanau abgenommen worden sein.
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