piwik no script img

Es herrscht Ruhe im Land

Slowenien, das kleine Land auf der „Sonnenseite der Alpen“, wirbt um mehr Touristen. Aber mit der geographischen Nähe zu den Kriegsschauplätzen in Rest-Jugoslawien hat der junge Staat so seine liebe Not  ■ Von Günter Ermlich

Ignoranten, alles Ignoranten! Janez Repansek, Staatssekretär für Tourismus im Wirtschaftsministerium, versteht die Welt nicht. „Verkaufen Sie auch Bleiwesten? Sind die in der Pauschalreise inbegriffen?“ würde er auf Fachmessen im Ausland gefragt. „Haben die Leute keinen Atlas zu Hause? Lesen die Leute keine Zeitung?“

Wir sind in Slowenien. Und wir haben einen Atlas. Slowenien, halb so groß wie die Schweiz, liegt eingebettet zwischen Österreich, Italien, Ungarn und Kroatien. Die Julischen Alpen und die Karawanken im Norden, die Pannonische Ebene mit Heilbädern und Weingärten im Osten, die steinige Karstlandschaft im Westen, die winzige Adriaküste im Südwesten, mitten im Zentrum die Hauptstadt Ljubljana. Und sonst jede Menge Wald, über 50 Prozent der Gesamtfläche. Drei klimatische Zonen auf engstem Raum: alpines, schwach kontinentales und mediterranes Klima. Mitte 1991 verabschiedete sich die nördlichste sowie national, kulturell und ethnisch (90 Prozent Slowenen, fast alle Katholiken) homogenste Teilrepublik aus der Volksrepublik Jugoslawien.

Doch der junge souveräne Staat mit gerade mal zwei Millionen Einwohnern hat Abgrenzungsprobleme. Genauer gesagt zwei. Einmal die geographisch-sprachliche Melange: Slowenien wird häufig mit der kroatischen Region Slawonien oder der Slowakei durcheinandergebracht. Und dann diese vermaledeite Kette von Assoziationen: Jugoslawien – Kriegswirrwarr – Tod, Folter, Vertreibung. Diese Kette nachhaltig zu sprengen ist eine Sisyphusarbeit. Als wäre er der Sicherheitschef höchstpersönlich, gibt der Direktor des jüngst gegründeten slowenischen Fremdenverkehrsamtes in Deutschland, Bogomir Gradisnik, Entwarnung: „Bei uns können Sie sich an jedem Ort zu jeder Zeit frei bewegen, ohne um Ihre Sicherheit zu fürchten.“

„Auf der Sonnenseite der Alpen! Ein junger Staat, eine alte Kultur, eine phantastische Landschaft“ heißt die prägnante Formel in der auf Umweltpapier gedruckten staatlichen Werbebroschüre. Das Tourismuskonzept setzt auf das magische touristische Viereck: Berge, Küste mit Karstgebiet, Heilbäder und Städte (besonders Ljubljana). Im Land der kurzen Wege – in zwei, drei Stunden erreicht man von jedem x-beliebigen Punkt aus jede andere y-beliebige Ecke des Landes) – können Touristen morgens in der Wintersport- Hochburg Kranska Gora Skiwedeln und nachmittags in der Adria- Hochburg Portoroz im Mittelmeer planschen. „Das gibt es sonst nur noch in Beirut“, verlautbart Fremdenverkehrswerber Gradisnik.

Doch die Alpen sind nicht so hoch wie in den Nachbarländern Österreich oder Italien: der dreizackige Triglav, mythenumwoben und auf der Staatsflagge präsent, ragt gerade mal 2.864 Meter auf. Und die slowenische Adria rund um den mit Beton satt ausgestatteten Touristennukleus Portoroz ist nur ein winziger Küstenabschnitt am Mittelmeer. Von der italienischen Grenze bei Triest bis zur kroatischen sind es nur wenige gewundene Kilometer: 46,6 genau. Tagesausflug in die herb-schöne Karstlandschaft mit ihren riesigen Höhlen, Höhlenflüssen, Kiefernwäldern, kleinen Dörfern und Steinhäusern.

In Postoyna besuchen wir die zweitgrößte Tropfsteinhöhle der Welt. Nur eine, aber vielleicht die grandioseste im Grottenregister Sloweniens, das 6.000 Tropfsteinhöhlen zählt. In Millionen von Jahren haben unterirdische Flußläufe die Stalaktiten und Stalagmiten geformt. In einer offenen elektrischen Kleinbahn tuckern wir ins Innere der bizarren Höhlenwelt. Der Höhlenführer fährt mit dem —Strahl der Taschenlampe die Konturen der Gesteinsformationen nach. Dort findet man den „schiefen Turm von Pisa“, „Papagei und Murmeltier“, „Mao Tse- tung“ und die „Madonna mit Kind“. Ein Reich der Imagination.

Heute stehen die fußballfeldergroßen Parkplätze vor dem Grotteneingang fast leer. Früher kamen eine Million Besucher pro Jahr, seufzt der Höhlen-Direktor besseren Tagen hinterher. Die traurige Bilanz 1992: nur 175.000 Besucher. Auch das Staatsgestüt Lipica, die „Wiege aller Lippizaner“, leidet unter Touristenschwund. Vor der Wende, als noch die Kommunisten in Belgrad regierten, kamen jährlich 300.000 Besucher, dieses Jahr allenfalls 100.000.

„In Slowenien herrscht westeuropäische Zeit“ steht in der Fremdenverkehrsbroschüre. Und nicht nur die Uhren ticken in Richtung Westeuropa. Aus den Fängen des Balkans, in die Arme Westeuropas: das ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich wohl die allermeisten SlowenierInnen verständigen können. Sie sind überzeugt davon, daß sie nach Europa gehören, geographisch, politisch und geschichtlich.

Wirtschaftlich gilt Slowenien als kapitalistischer Musterknabe. Schon im früheren Jugoslawien sorgten die so genannten „Schwaben“ für 25 Prozent der gesamtjugoslawischen Exporte und erwirtschafteten 10 Prozent des Bruttosozialprodukts – und das mit 8 Prozent Bevölkerungsanteil. Das heutige Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet etwa 650 Mark ist siebenmal so hoch wie in Kroatien, fünfzehnmal so hoch wie in Serbien. Damit liegt das kleine Land auch noch vor den Schlußlichtern der Europäischen Union, Griechenland und Portugal. Die Inflationsrate, noch 92 Prozent im Vorjahr, ist auf aktuelle 25 Prozent runtergedrückt worden. Trotz aller makroökonomischen Erfolge: die Wirtschaftskrise ist nicht zu übersehen, vor allem weil die Absatzmärkte im ehemaligen Jugoslawien ersatzlos weggebrochen sind.

Überdies müssen nach dem Privatisierungsgesetz vom November 1992 bis zum nächsten Jahr 2.470 ehemals staatliche Betriebe mit 500.000 Beschäftigten in Aktiengesellschaften umgewandelt werden. Der soziale Friede, schon arg strapaziert durch die Arbeitslosigkeit (momentan 14,4 Prozent), wird im Sog der Privatisierung noch steigen. Und die Preise für Nahrungsmittel und Konsumgüter haben drastisch angezogen. „Der Arbeiterklasse geht es schlechter als früher. Dafür gibt es nun jede Menge Spekulationsgewinner“, weiß Matija. Hinzu kommt noch der Kraftakt der Unterbringung und Versorgung von offiziell 70.000 Flüchtlingen (inoffiziell sind es gut 100.000) vorwiegend aus Bosnien- Herzegowina.

Das junge Slowenien ist als erste exjugoslawische Republik Opfer des Krieges geworden. Am 26. Juni 1991, dem Tag der Unabhängigkeitsfeier, kreisten Flugzeuge der Jugoslawischen Volksarmee donnernd über Ljubljana. Am Morgen darauf begann der Krieg, der zehn Tage dauerte. Vor allem an den Grenzübergängen zu Österreich wurde gekämpft. Die Kriegsbilanz: 49 Tote auf slowenischer Seite, schätzungsweise 360 auf der jugoslawischen. Vor kurzem erinnerten Bomben und Granaten 15 Kilometer von der slowenisch-kroatischen Grenze an den nahen Krieg. Und da sind die Grenzstreitigkeiten mit Kroatien, das Gebietsansprüche erhebt, primär auf die Bucht von Piran an der Adria, die für die Fischerei wichtig ist. Slowenien sei der „Puffer zwischen Krieg und dem Rest von Europa“, konstatiert die Angestellte im Fremdenverkehrsamt Ljubljana ohne Illusionen.

Matija schiebt im Bus eine Kassette ein. Unverwechselbar, dieser Oberkrainer Sound. Einstimmung auf das kleine Dorf Begunje in der Provinz Oberkrain. Im Gasthof der Gebrüder Avsenik sei diese von typischer Melodik und Originalität geprägte Volksmusik geboren. Issers, issers nicht? Wir trauen kaum unseren Augen. Kein Zweifel, er isses: Slavko Avsenik, bei Freunden der Volksmusik besser bekannt als einer der beiden Oberkrainer. Foto bitte! Slavko Avsenik winkt sanft ab. Nein, er sei doch nur im Straßenanzug. Unvorstellbar: der kulturelle slowenische Exportschlager (neben den Lipizzanern) – ohne Trachtenanzug!

Bled am Fuße der Julischen Alpen. Von der Terrasse des Schlosses, das an einem steilen Berghang klebt, gibt's den Postkarten-Rundblick gratis: ein Aquarell mit Gebirgssee, die kleine Insel mit spitzem Turm von feinem Pinsel draufgetupft. Tief drunten ziehen auf der Weltmeisterschafts-Regattastrecke Zweier- und Vierer-Ruderboote ihre Trainingsbahnen. Ein ideales Stilleben für Brautpaare. Der Fährmann gondelt sie (natürlich auch ordinäre Touristen) in einer besonderen Ruderboot-Spezies namens Pletna im Handumdrehen auf das winzige Eiland. Vor dem Jawort kommt das Ächzen: 99 steile Stufen geht's hoch zur Kirche St. Maria (Wunschglöcklein bimmeln nicht vergessen!). Der Organist übt den „Hochzeitsmarsch“, die Insel bebt. Bis zum Zweiten Weltkrieg ein viel angeruderter Wallfahrtsort, wurde die barockisierte Kirche anschließend aus politischen Opportunitätsgründen dann dem religiösen Verkehr entzogen. Als man altslawische Gräber im Kircheninnern freilegte, wurde sie zum Museum umfunktioniert. Erst seit kurzem gibt es wieder vereinzelt Gottesdienste.

Janez Fajfar geleitet uns durch Titos Ex-Reich. 1947 ließ sich dieser von deutschen Kriegsgefangenen seine Staatsresidenz (eine von vierzig) im Fünf-Hektar-Park mit bester Seelage bauen. Hier empfing der máximo lider Jugoslawiens am liebsten Gäste aus der Dritten Welt. Wie Kim Il Sung aus Nordkorea. Der Strolch nahm gleich „sein“ Bleder Bett mit nach Pjöngjang und ließ es dort im Museum aufstellen, teilt uns der begnadete Anekdötchenerzähler beiläufig mit. Seit 1984 (Tito starb 1980) ist der Marmorpalast ein Nobelhotel mit 11 Zimmern und 21 Appartements. Titos früheres Schlafgemach, heute Zimmer 320, ist für 350 Dollar die Nacht zu haben. Inklusive Benutzung des Original-Badezimmers mit der schwarzen „Prestige“-Waage.

Eine der wirtschaftlichen Prioritäten Sloweniens ist der Tourismus. „Wir wollen nicht mehr Massentourismus, sondern Qualitätstourismus“, sagt Staatssekretär Repansik. Keine besonders originelle Zukunftsformel. Denn das wollen heute (fast) alle Ferienregionen. In Zukunft soll sich der touristische Anteil am Bruttosozialprodukt von derzeit drei auf sechs Prozent verdoppeln. Die 75.000 Touristenbetten wollen schließlich durchgelegen werden. Doch langsam, aber sicher geht's trotz aller Widrigkeiten bergauf: In den ersten acht Monaten dieses Jahres verzeichnete die Statistik 23 Prozent mehr Gäste als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. „Alle Hotels sind zur Zeit im Prozeß der Privatisierung“, versichert Repansek, und neue Hotels würden nicht gebaut. Dafür werden aber in den nächsten sechs Jahren 150 neue Autobahnkilometer kreuz und quer durchs grüne Land geschneist. Das Autobahnkreuz, von der italienischen bis zur ungarischen Grenze und von der österreichischen bis zur kroatischen Grenze, sei „unheimlich wichtig“, meint Repansek.

Slowenien im Jahr zwei der Unabhängigkeit. Umbruchzeiten. Solange der Krieg bei den südöstlichen Nachbarn tobt, wird das Land nicht endgültig zur Ruhe kommen. Nicht das akute Bedrohungspotential ist das Problem, sondern die psychologische Abschreckungsbarriere für Investoren und Touristen. Da hilft auch der immer wieder beschworene Beruhigungstropfen nur bedingt, daß Sarajevo schließlich genauso weit weg liege wie München.

Information: Fremdenverkehrsamt, Lessingstraße 7–9, 61440 Oberursel. Telefon: 06171/641660 oder 641661.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen