: Es hängt von uns ab
„Komische Vögel“ im TD Berlin: Von der Ornithologie zur Beobachtung des Menschen in der Gesellschaft ist es manchmal nur ein kleiner Hüpfer
Von Katja Kollmann
Hausrotschwanz, Mönchsgrasmücke, Zwergtaucher… Die Ohren sind weit offen und wundern sich über das Gehörte, sitzt man doch im Theater und nicht in einem Vortrag über seltene Vogelarten. Bilder gibt es dazu keine und so bleiben die genannten Vögel konturlos.
Umso konkreter zeichnen Vanessa Stern und Team die Menschen, die sich mit ihnen befassen. Dazu haben sie das Thema Ornithologie tief umgepflügt und sind an unterschiedlichsten Stellen fündig geworden. Über den Spot auf die „Birding-Blase“ reflektieren sie das Beobachten und Sich-Zur-Schaustellen. Und so ist „Komische Vögel“ auch eine entspannt-selbstkritische Reflexion über die Beweggründe derer, die auf der Bühne stehen. Darüber hinaus gelingt ein unkonventioneller Blick auf die gegenwärtige Verfasstheit von Gesellschaft, der auf die üblichen Parameter verzichtet.
Vanessa Stern, Verena Unbehaun und Mira Partecke stellen in „Komische Vögel“ im TD Berlin ihre Alter Egos, drei Schauspielerinnen, dar, die ein Stück über Vögel performen. Partecke hat eine witzige Kopfbedeckung auf, die an den Kopf einer Henne erinnert, Unbehaun steckt in einem schwarzen, weiß gepunkteten Riesen-Strampler und Stern hat sich einen grünes Tarnnetz über die Schultern geworfen. In ihren großen Schlappen, die Vogelkrallen imitieren, stehen sie zwischen aufgeklappten Fünfstufen-Leitern, die die Bühne des TD Berlin bewalden. Einige haben ein Tarnnetz, aber die meisten sind nackt (Bühne/Kostüme: Eike Böttcher, Jelka Plate.)
Das sieht extrem improvisiert aus, als hätte man sich die Leitern kurz vor der Premiere bei FreundInnen ausgeliehen und die Tarnnetze schnell in irgendeinem Theaterfundus aufgestöbert. Im Kontext der Verhandlungen über den Kulturhaushalt 2026/2027 mit den angekündigten Kürzungen ist dieses Bühnenbild der Kommentar zur aktuellen und künftigen Lage.
Lange lebt in Text und Performance eine wunderbare Nuance witziger Absurdität, Vanessa Sterns Alleinstellungsmerkmal. Der pointierte Dialog-Reigen ist in der Realität verwurzelt, gleichzeitig aber so aufgebaut, dass z.B. über das Nerdige des obsessiven Vogelbeobachtens mit Hilfe von Apps, denen man sich komplett ausliefert, Abhängigkeit vom Digitalen und Entfremdung von der analogen Welt konkret greifbar wird. Das Bühnengeschehen lebt von herrlich trockener Situationskomik zwischen den drei Darstellerinnen, die, wie in einer klassischen Komödie, erst mal in Rollenklischees schlüpfen: so mimt Partecke die Unbedarfte, Unbehaun die reife Schauspielerin, die Aufmerksamkeit braucht und Stern die Frau in einer Führungsrolle.
Mit der Einführung des Thors-Hühnchens verändert sich die Betriebstemperatur auf der Bühne. Die drei erzählen von der Ornithologie im NS-Staat. Konkret von der Umbenennung des plattschnäbligen Wassertreters in Thors-Hühnchen in Bezugnahme auf den nordischen Gott Thor. Und dann marschiert Unbehaun wieder und wieder die Bühne von rechts nach links ab. Sie presst die Worte widerwillig aus sich heraus, als sie aus den Aufzeichnungen Günther Niethammers, SS-Angehöriger und Ornithologe in Auschwitz, rezitiert: „Ich bin so eine Art Konzentrationslager SS-Jägermeister, fahre mit dem Rad draußen rum und habe schon 200 Brutvögel gesammelt.“ Niethammer wird nach dem Krieg Professor für Ornithologie in Bonn.
Danach erzählt ein Podcast-Einspieler von der schwarzen Birdwatching-Community in den USA. Quintessenz: Wie wir Vogelkunde (und Gesellschaft) gestalten, hängt von uns ab. Partecke bekennt am Schluss: „Wenn ich die Wahl hätte zwischen Wiedehopf sehen und Kaffee, würde ich den Kaffee nehmen.“ Stern: „Aber den Kaffee kannst du dir kaufen, den Wiedehopf nicht.“ Partecke: „Um so erstaunlicher, dass ich mich für den Kaffee entscheide.“
Komische Vögel wieder am 21./22./23. 11. im TD Berlin
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