„Es ging nur um die Mauer“

■ Selbstverbrennung als Drohung, um letztes Mauerstück zu retten

Der Tag danach. Erich Stanke gibt Interviews am laufenden Band. Er erzählt von seiner Verwirrung und von seiner Verzweiflung, die ihn dazu getrieben habe, sich am Mittwoch morgen an der Mauer am Potsdamer Platz mit Diesel zu übergießen. Keinesfalls habe er sich das Leben nehmen wollen. Ihm sei es nur um den letzten Rest Mauer am Potsdamer Platz gegangen. Nur um die Mauer. Ein Stück Berliner Geschichte habe er vor dem Abriß retten wollen. Mehr nicht.

Mit Kran und Tieflader, Preßlufthammer und Trennschleifer war eine von Sony beauftragte Firma im Mittwochmorgengrauen am Potsdamer Plan erschienen. Das 100 Meter lange Mauerstück sollte weichen, zugunsten des Bauvorhabens. „Die Mauer abzureißen, damit hat Sony ja schon oft gedroht“, sagt Erich Stanke. Daß es diesmal, kurz vor Weihnachten, ernst gemeint sein sollte, habe er nicht gedacht. Wie immer ist er gekommen zu seinem Stück Mauer – mit Stollen und Kaffee – „ich dachte, es wäre das übliche Spiel“. Er hatte sich getäuscht.

Seit sechs Jahren kämpft der Kaufmann Erich Stanke um das Mauerstück. 1990 hat er es geschenkt bekommen vom letzten DDR-Grenzer-Chef. Sony bekam das Grundstück zur Bebauung – seitdem schwelt der Konflikt. „Der 100 Meter lange Mauerabschnitt war mein Eigentum und als solches von den zuständigen Senatsstellen anerkannt“, sagt Stanke. Das änderte sich Ende August mit einem Schreiben des Finanzsenators. Darin hieß es: „Darüber hinaus weisen wir darauf hin, daß die Eigentumsverhältnisse an den Mauerabschnitten nicht abschließend geklärt sind.“ Die Bemühungen von Stanke, die Mauer zu retten, wurde zur Farce erklärt.

„Ich war verzweifelt“, sagt der 37jährige. Er zog sich eine Plastiktüte über den Kopf, stellte sich mit ausgebreiteten Armen auf die Mauer und bat Polizeihauptkommissar Schulz, den Abriß zu stoppen. Gehört wurden seine Worte nicht. Erich Stanke ließ Diesel schwappen, auch auf seine Kleidung, „sozusagen als letzte Warnung“. Polizei rückte an und die Feuerwehr, mit einem Feuerlöscher wurde Schlimmeres verhindert. „Plötzlich ging es nicht mehr um die Mauer, sondern um Gefahr an Leib und Leben.“ Er kam ins Krankenhaus, eine Psychologin sprach mit ihm, er kam wieder frei. Genutzt hat seine spektakuläre Aktion wenig. 50 Meter der Mauer wurden abgerissen, der Rest, auf Landesboden, blieb stehen. Wie lange? Er weiß es nicht. Er kann nur hoffen, daß Berlin doch noch irgendwie verantwortungsvoll mit diesem Stück Geschichte umgeht. Lächerlich habe sich die Stadt bereits gemacht. Jens Rübsam