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Es gibt keine Opposition mehr

■ Lech Walesa plädiert für das Ende von Solidarnosc und für das Entstehen von Parteien

DOKUMENTATION

Nach Rimini, zum Kongreß von „Comunione e Liberazione“, einer integralistischen Bewegung des italienischen Katholizismus, war auch der Chef von Solidarnosc, Lech Walesa, als Gast geladen. Am Rande äußerte er sich in einem Interview zur Krise der von ihm gegründeten Gewerkschaft.

Innerhalb von Solidarnosc werden Sie von Personen wie Michnik und Geremek kritisiert?

Lech Walesa: Diese ganze Situation, die wir in heute in Polen haben, wurde durch mich geschaffen. Offensichtlich mit der Hilfe jener Persönlichkeiten. Ich habe diese Situation auf Basis des Kompromisses mit den Kommunisten geschaffen. Das setzte die Existenz der KP voraus. Jetzt ist alles anders. Die KP hat sich aufgelöst, und man muß einen Schritt nach vorne machen. Gerade Michnik, Geremek und Mazowiecki hätten ihn machen sollen. Aber sie haben sich überhaupt nicht bewegt und dadurch eine auch für mich blöde Situation geschaffen. Es gibt keine KP mehr, es gibt niemanden mehr, den man angreifen könnte. Ich weiß nicht mehr, mit wem diskutieren, es gibt keine Opposition mehr. Im Parlament gibt es keine Leute mehr, die nicht die Mehrheit repräsentieren. Es gibt keinen Präsidenten mehr, der den Kriegszustand ausgerufen hat. Früher war der nötig, heute nicht mehr. Die Struktur, die ich aufgebaut habe, zielte darauf ab, den Kommunismus zu bekämpfen. Indem wir uns an die Stelle der KP gesetzt haben, kommen neue Aufgaben auf uns zu. Wir müssen eine Marktwirtschaft aufbauen. Es kann keine Marktwirtschaft mit einem Monopol von Solidarnosc geben.

Aber die Polemik mit Michnik und Geremek war ja sehr hart, Sie wurden des Antisemitismus bezichtigt.

Im August 1981 hatten wir zwei Ziele: den Kommunismus zu besiegen und ein pluralistisches System aufzubauen. Und was macht man nun? Diejenigen, die die Revolutionen machen, siegen und lehnen sich zurück. Ich schlage eine andere Lösung vor: weitermachen, vorwärtsschreiten. Ich greife an. Meine Kollegen wollen es sich bequem machen und bezichtigen mich des Antisemitismus und anderer Dinge. Das macht zwar Schlagzeilen, aber es ist nicht wahr.

Mir scheint, Sie sagen: Adieu, Solidarnosc. Das Experiment ist zu Ende. Wie wollen Sie aus dem Nichts eine Opposition aufbauen? Vorher müssen doch wirtschaftliche Realitäten geschaffen sein.

Ja, dann wird nie eine Opposition entstehen. Man darf nicht warten, man muß Gesprächspartner schaffen, man muß wissen, mit wem sprechen. Ich habe bereits vorgeschlagen, das Kapitel Solidarnosc abzuschließen, ihre Fahne in den Schrank zu stellen. Man muß gewerkschaftliche Arbeit machen und politische Parteien gründen. Solidarnosc können wir als Erinnerung für künftige Generationen aufbewahren.

Irre ich in der Annahme, daß dem Papst die aktuelle Polemik zwischen Walesa und Mazowiecki nicht gefällt?

Ich kämpfe nicht gegen den Premierminister, ich sage ihm nur, er soll besser arbeiten.

Im Westen hält man Sie auch für einen katholischen Integralisten. 'The Economist‘ hat im Juni sogar den Papst davor gewarnt, in Polen allein auf die Religion zu setzen.

Bald werden sie den Papst noch das Vater unser lehren. In Amerika hielt man mich einst für einen Heiligen. Ich habe begonnen, Forderungen zu stellen. Zu einem Heiligen sagt man nie nein. Und nun versucht man, mich wieder auf den Boden zurückzuholen.

Aus 'Corriere della Sera‘ vom 27.8.90 (gekürzt)

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