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Archiv-Artikel

Es geht noch einmal gegen Napoleon

HISTORIE Ein Spaziergang im Viktoriapark auf den Kreuzberg, in Erinnerung an den Beginn der Befreiungskriege vor zweihundert Jahren, mit der Rede Friedrich Wilhelms III. im Ohr: „An mein Volk!“

„Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern! Ihr wisst, was euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden“

VON DETLEF KUHLBRODT

Es ist Sonntagnachmittag. An der Ecke Mehringdamm/Bergmannstraße steht ein Mann. Er erinnert an den Räuber Hotzenplotz und guckt konzentriert in ein Buch. Vielleicht ist es aber nur ein Schauspieler, der gemietet wurde, um die Leute zum Nachdenken zu bringen. Vielleicht hat er auch mit dem Jubiläumstag an diesem Sonntag zu tun: Am 17. März 1813, also vor genau zweihundert Jahren, hatte nämlich der preußische König Friedrich Wilhelm III. in seiner Rede „An mein Volk“ dazu aufgerufen, sich gegen die seit dem Frieden von Tilsit 1807 andauernde Fremdherrschaft Napoleons zur Wehr zu setzen, und noch am selben Tag Frankreich den Krieg erklärt. Das auf dem Kreuzberg stehende Nationaldenkmal von Schinkel erinnert an das siegreiche Ende der „Befreiungskriege“, die dann folgten.

Die Rede des Königs, deren Text der preußische Staatsrat Hippel, ein Freund des berühmten Dichters E. T. A. Hoffmann entworfen hatte, war in der Schlesischen privilegirten Zeitung veröffentlich worden. An diesem Sonntag sollte sie im Auftrag des Kreuzberg Museums erstmals öffentlich im Viktoriapark auf der zugigen Spitze des Kreuzberges aufgeführt werden.

Der Weg zur Spitze ist vereist. Kreuzberg, einer der angesehensten Bezirke der Welt, hat kein Geld für Eisbeseitigung. Gleich beim Nationaldenkmal steht eine Gruppe von vielleicht dreißig Menschen. Sind es Urlauber? Sind es Berliner? Die meisten dürften über fünfzig sein und hören dem Schauspieler Klaus Kowatsch zu, der eine Mütze und eine rote Kladde trägt, von Weitem so aussieht wie Thomas Kapielski und die Worte des Königs an sein Volk spricht: „Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über unsern Zustand aufhört … – Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wisst, was euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen; gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen – große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden; denn unser Beginnen ist groß, und nicht gering die Zahl und die Mittel unserer Feinde. Vertrauen auf Gott, Ausdauer, Mut und der mächtige Beistand unserer Bundesgenossen werden unsern redlichen Anstrengungen siegreichen Lohn gewähren. Es ist der letzte, entscheidende Kampf, den wir bestehen. Keinen andern Ausweg gibt es als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegengehen. Allein wir dürfen mit Zuversicht vertrauen: Gott und unser fester Wille werden unserer gerechten Sache den Sieg verleihen.“

Im kalten Wind verwehen die Worte des wankelmütigen Königs, der einen Monat zuvor noch die allgemeine Wehrpflicht in Preußen eingeführt hatte, um den nun zum Feind erklärten Franzosen mit einem Kontingent zur Seite zu stehen. Allerdings hatte die Allianz mit den Franzosen schon ein bisschen gebröckelt. Im Dezember 1812 hatte der preußische Generalfeldmarschall Johann David Ludwig Graf Yorck von Wartenburg (Namensgeber der Yorckstraße) nämlich eigenmächtig mit den russischen Truppen Frieden geschlossen, also Hochverrat begangen. Zunächst war der preußische König sehr wütend gewesen. Dann hatte auch er die Seite gewechselt, berichtet Klaus Kowatsch, und dass Friedrich Wilhelm III. sehr zögerlich und eher schüchtern gewesen sei. Er habe kaum gesprochen – und wenn, dann habe er einfach die Personalpronomina weggelassen.

Eigentlich ist es schön, sich wie ein Urlauber alles erklären zu lassen, aber auch ziemlich kalt und windig, wenn man still steht.

Langsam gehen wir den Berg wieder runter. Zwei Miturlauber unterhalten sich über Vor- und Nachteile einer bevorstehenden Unterleibsoperation. Man muss aufpassen, nicht hinzufallen. Manche geben auf. Von Weitem sehe ich den Dichter Jan-Peter Bremer spazieren gehen.

Endlich stehen wir vor der Heinrich von Kleist-Herme. Klaus Kowatsch fragt: „Sind wir vollzählig?“, um dann angesichts der Skulptur von dem Dichter zu erzählen und aus dessen kriegsbegeisterten Gedichten zu zitieren: „Nur der Franzmann zeigt sich noch / In dem deutschen Reiche; / Brüder, nehmt die Keule doch, / Dass er gleichfalls weiche“ (aus dem „Kriegslied der Deutschen“) und: „Alle Plätze, Trift’ und Stätten, / Färbt mit ihren Knochen weiß; / Welchen Rab und Fuchs verschmähten, / Gebet ihn den Fischen preis; / Dämmt den Rhein mit ihren Leichen“ (aus „Germania“).

Ein Nebenmann erzählt, sein Opa sei zweimal in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Am Rande fahren Kinder Schlitten. Neben dem Freiluftgehege befindet sich die Skulptur, die an den Dichter Ludwig Uhland erinnert, dessen Gedicht „Der gute Kamerad“ bis heute Bestandteil jeder militärischen Trauerfeier in Deutschland und Österreich ist. Eigentlich war Uhland, der von den preußischen Reformen nach den Befreiungskriegen enttäuscht war, aber ein Liberaler. Und auch mit dem nahebei begrabenen E. T. A. Hoffmann befreundet. Aus dessen Roman „Meister Floh“ zitiert Kowatsch zensurkritische Passagen, die den Dichter den Job und seine Frau die Rente gekostet hatten.

Zum Abschluss des Sonntagsausflugs besichtigen wir noch kurz das Sockelgeschoss des Nationaldenkmals. Hier gibt es Fledermäuse, Denkmalreste, und zwei alte Basketballkorbanlagen erinnern an die Zeiten, als außer Fußball noch andere Sportarten beliebt waren.