: Es gärt erneut im Schmelztiegel New York
■ Die Konflikte zwischen den Ethnien eskalieren / Zwei Fälle beschäftigen die Öffentlichkeit: der Prozeß gegen die Mörder eines schwarzen Jugendlichen und der Boykott koreanischer Läden durch Schwarze / Kritik an Bürgermeister Dinkins
New York (wps) - Seit nunmehr vier Monaten passiert jeden Morgen das gleiche. Jang Bong Jae schließt morgens die Tür seines kleinen Ladens in Flatbush/Brooklyn auf. Und prompt fängt die Gruppe DemonstrantInnen vor der Tür an, „Blutsauger“ oder „Heute machst du kein Geschäft“ zu skandieren. KundInnen kommen kaum noch und wenn, werden sie bespuckt. Drinnen stehen Jang und seine beide Brüder vor den leeren Regalen und werfen ab und zu ein Auge auf die lahmgelegte Kasse. Auf der klebt der Spruch: „Gott ist Liebe“. Doch wo ist Gott? Und wo die Liebe? Im schwarzen Stadtteil von Flatbush ist Jang und einem anderen koreanischen Händler der Krieg erklärt worden.
Seit den frühen Achtzigern gibt es in der Nachbarschaft Brooklyns vermehrt Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Koreanern, ob in Harlem, Queens oder auch in anderen US -Städten wie Atlanta, Chicago und Washington. Oft reicht nur ein mißverständlicher Blick, ein fehlendes „Danke“, der Streit um einen Preis, oder, wie im jüngsten Fall, der Vorwurf des Ladendiebstahls. Unter der Oberfläche gärt der Unmut darüber, daß es koreanischen Einwanderern offenbar gelingt, in ökonomisch schwachen schwarzen Stadtteilen ein florierendes Händler- und Kleinunternehmertum aufzubauen. „Die schwarzen Leute hier sind aufgebracht und maßlos enttäuscht. Viele von ihnen haben ihr Leben lang davon geträumt, so einen kleinen Laden aufzumachen“, meint ein Gemeindepfarrer. „Aber ihnen wird systematisch der Zugang zu Versicherungen und Kapital verweigert.“
Seit Generationen sieht man in diesen Stadtteilen jüdische, italienische oder arabische Händler kommen, gute Geschäfte machen und dann in bessere Stadtteile gehen. Boykottaktionen hat es schon viele andere gegeben. Die koreanisch -amerikanische Gemeinde, deren 200.000 Mitglieder ungefähr 2.000 Läden in New York betreiben, ist jüngste Zielscheibe. Viele erinnern sich vielleicht noch an Spike Lees Film „Do the right thing“, der in Brooklyn spielt. Ein koreanischer Händler ruft da verzweifelt während eines Konflikts mit schwarzen BewohnerInnen: „Me no white, me no white! Me black!“ Doch bisher verliefen alle Appelle, sowohl an KoreanerInnen wie an Schwarze, sich doch als Minoritäten und gemeinsam als Opfer von Unterdrückung zu begreifen, im Sande.
Zwischen den Versionen der beteiligten Fraktionen im Falle Jang liegen Welten, Kulturen. Viele der ProtestiererInnen sind haitianische EinwanderInnen. Sie behaupten, am 18. Januar sei die Haitianerin Giselaine Fetissainte, die nur Kreolisch spricht, von den drei Jang-Brüdern verprügelt und schwer verletzt worden. Jangs Brüder sagen, Fetissainte hätte ohne zu bezahlen gehen wollen. Sie hätten nur mit Paprika nach ihr geworfen und ihr im folgenden Handgemenge „ein paar Kratzer“ zugefügt. Gegen einen der Brüder wird allerdings wegen Körperverletzung ermittelt.
Doch es gibt noch einen weiteren Konflikt, der mehr und mehr Besitz von der Metropole ergreift und den neugewählten schwarzen Bürgermeister David N. Dinkins vor seine erste „Bewährungsprobe“ stellt. Während seines Wahlkampfes gegen den Dauer-OB Ed Koch vergangenen Sommer war ein schwarzer Jugendlicher in Bensonhurst/Brooklyn von einer Gruppe weißer Jugendlicher umgebracht worden. Dinkins Satz damals: „Das Klima dieser Stadt muß vom Rathaus ausstrahlen.“ Der Prozeß gegen die Mörder Yusuf Hawkins läuft zur Zeit, und die Jury berät schon seit einer Woche, ohne ein Urteil gefällt zu haben. Tag für Tag gibt es Protestdemonstrationen vor dem Gerichtsgebäude, die mit Vergeltungsaktionen drohen, falls es nicht zu einem Schuldspruch kommt.
Auch in Flatbush wird weiter boykottiert. Doch erst vergangenen Freitag hat sich Dinkins nach vier langen Monaten zu Wort gemeldet. Es bedürfe einer „ungeheuren, sensiblen Diplomatie“, um die Konflikte zu schlichten. Seinen KritikerInnen ist das zu wenig, sie werfen ihm vor, er sei zu „schwach“ und habe sich von den Weißen einkaufen lassen. Vielleicht tut er wirklich zu wenig in einer Stadt, in der ein schwarzer Universitätsprofessor die Überlegenheit der schwarzen Rasse predigt, wo gleichzeitig ein anderer weißer - Dozent die These vertritt, Schwarze seien weniger intelligent und tendierten eher zur kriminellen Taten als Weiße. Einer Stadt, wo weiße Studenten von der St.-John -Universität eine schwarze Kommilitonin vergewaltigen und der bekannte Kolumnist Jimmy Breslin rassistische Bemerkungen abläßt - und wo selbst ein Wahlkampfhelfer Dinkins‘, Sonny Carson, wegen antisemitischer Äußerungen gefeuert wurde.
Bisher jedenfalls hat sich der neue Bürgermeister noch nicht vom Rathaus an die Peripherie begeben, um mit einer Geste die angespannte Situation aufzubrechen. Das versuchte ein anderer, Unbekannter. Vergangenen Freitag ging er in Jangs Laden, gab ihm 100 Dollar und einen Brief, in dem stand: „Wie meine Brüder und Schwestern euch behandeln, dafür kann ich mich nicht entschuldigen... Ich kann nur das Leid, das meinen koreanischen Brüdern und Schwestern angetan wird, mitempfinden.“ Zwei Tage später gab es einige Straßen von Jangs Laden entfernt einen Angriff einer Gruppe schwarzer Jugendlicher auf drei Vietnamesen. Die Angreifer, die antikoreanische Sprüche riefen und mit Flaschen und einem Baseballschläger losgingen, hätten gedacht, „es seien Koreaner“, so die Polizei später.
Karen Tumulty/Laurie Goldstein/AS
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