■ Mit der Spekulation auf Du und Du: Erzwungene Fusionen
So wie das Jahr 1929 untrennbar mit dem Begriff „Der große Krach“ verbunden ist, dürfte das Jahr 1986 unter dem Stichwort „Die Fusionswelle“ Wirtschaftsgeschichte machen. Die hohe Zahl allein hebt jedoch 1986 von vorangegangenen Jahren nicht ab. Was an dem Übernahmefieber in diesem Jahr ins Auge fällt, ist die Tatsache, daß vielfach gegen den Willen der Konzernleitungen gekauft wird. Die Manager der betroffenen Gesellschaften reagieren auf solche Versuche oft mit heftigem Widerstand. Diese ungewollten Übernahmen werden in letzter Zeit immer häufiger von einer handvoll außenstehender Spekulanten lanciert, die sich zu Verfechtern der Aktionärsinteressen stilisieren und dabei selber Milliardengeschäfte machen. Und das funktioniert so: Zunächst wird öffentlichkeitswirksam behauptet, die Aktien der Gesellschaften, auf die Jagd gemacht wird, seien unterbewertet, weil das Management nichts tauge. Dann kaufen diese „Firmenhaie“ mit eigenem und gepumptem Geld Aktien auf, wodurch der Kurs in die Höhe geht. Darüber freuen sich natürlich die alten Aktionäre, aber vor allem die Jäger. Steht nämlich der Kurs einmal hoch genug, verlieren sie gewöhnlich schnell das Interesse an der Firma und stoßen ihre Papiere zu den höheren Kursen plus einem happigen Aufpreis vom Firmenmanagement wieder ab. Gegenleistung ist das Versprechen, auf weitere Übernahmeversuche für eine bestimmte Zeit zu verzichten. Ein solcher Fall war das Angebot des europäischen Finanziers Sir James Goldsmith. Goldsmith, der 12,5 Millionen Aktien des Reifenherstellers Goodyear Tire + Rubber besaß, erklärte sich bereit, diese an Goodyear zum deutlich höheren Kurs von 49 Dollar je Anteil zurückzuverkaufen und verpflichtete sich gleichzeitig, in den nächsten fünf Jahren keine Goodyear–Papiere mehr zu übernehmen. Abgesehen von dem möglicherweise nützlichen Einfluß der Firmenjäger bei der Umstrukturierung von Unternehmen werfen die Methoden vor allem Probleme auf. Kritiker behaupten, die steigende Verschuldung der Unternehmen sei die Folge versuchter, durchgeführter oder abgewehrter Übernahmen. Bedenklich stimmt auch, daß Banken wegen der höheren Zinsen in wachsendem Umfang „junk bonds“ - das sind hochverzinsliche Anleihen ohne Sicherheit - in ihre Portefeuilles aufnehmen. Die Jagd auf übernahmeanfällige Unternehmen hat das Spekulationsfieber in diesem Jahr derart angeheizt, daß die Börse von Rekord zu Rekord sprang. Am 4. September stieg der Dow–Jones– Durchschnittskurs für 30 führende Industrietitel auf 1.919,71, den bis dahin höchsten Stand, und am 2. Dezember kletterte der „Dow“ auf sein Allzeithoch von 1.955,75. Prophezeiungen, der Börsenskandal um die illegalen Geschäfte des bis dahin angesehenen Spekulanten Ivan Boesky werde die Übernahmeaktivitäten eindämmen, haben sich nicht bewahrheitet. Das große Übernahmekarussell dreht sich nicht zuletzt aus Steuergründen derzeit so rasant. Die am 1. Januar in Kraft tretende Steuerreform in den USA wird das Geschäft für Käufer und Verkäufer deutlich verteuern. Dann ist die Luft raus aus dem aufgeblähten Geschäft - auf die Knalleffekte darf man gespannt sein. geo McCASH FLOWS ORAKEL
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