Erziehungsstudie: Gute Eltern überfordert
Sie wollen ihren Kindern Willensstärke und Durchsetzungsvermögen geben. Doch die Kinder hören nicht auf ihre Eltern, glotzen zu viel und sind zu dick. Was machen Eltern heute falsch?
Kinder sind in deutschen Familien das Wichtigste. Die Eltern wollen sie zu Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit erziehen - und diskutieren lieber, anstatt Regeln aufzustellen. Die Gratwanderung zwischen dem Gewähren von Freiheit und Wertevermittlung bereitet aber vielen Eltern Probleme. Das ergab die Umfrage "Generationen-Barometer 2009", die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
"Die Erziehung hat sich von Grund auf verändert", sagte Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach, das für die repräsentative Studie 2.200 Menschen befragt hat. "Vom autoritären Befehlsempfänger-Verhältnis geht es hin zum partnerschaftlichen Verbund." Eltern würden ihre Kinder stärker als früher als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen und fördern.
Bei der Umfrage gaben 89 Prozent der Eltern mit Kindern unter 16 Jahren an, ihr wichtigstes Erziehungsziel sei, dass die Kinder Selbstbewusstsein entwickeln. 78 Prozent legen Wert auf die Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten ihrer Kinder, und 71 Prozent wünschen sich, dass ihre Kinder lernen, sich durchzusetzen. Traditionellere Ziele wie Fleiß, Ordnung und Bescheidenheit waren den Befragten weniger wichtig.
Neben den Zielen änderten sich auch die Erziehungsmethoden. Die Forscher befragten die Teilnehmer nach Altersgruppen, wie sie selbst von ihren Eltern behandelt wurden. Während bei über 60-Jährigen noch fast die Hälfte mit Ohrfeigen aufwuchs, sind es bei den heute unter 30-Jährigen nur noch 23 Prozent. Dafür wird immer mehr diskutiert, wenn die Kinder sich danebenbenehmen: Bei gut zwei Dritteln der unter 30-Jährigen sprachen die Eltern mit ihnen darüber, wenn sie etwas falsch gemacht hatten. Bei der älteren Generation waren es nur 34 Prozent. "Der verbreitete Dialogstil zeigt, dass die Eltern versuchen, intensiv mit den Kindern zu diskutieren, warum sie etwas nicht wollen", sagte Köcher. Gleichzeitig machten es sich die Eltern damit aber nicht leicht - die Herausforderungen würden sogar wachsen.
Das größte Problem bei der Erziehung ist laut der Studie, dass Kinder die Freiheiten, die ihre Eltern ihnen zugestehen, offensichtlich dafür nutzen, zu viel vor dem Fernsehen und Computer zu sitzen - das finden 85 Prozent der Befragten, darunter nicht nur Eltern. "Medien sind in den Kinderzimmern omnipräsent", sagte Köcher. Besonders in niedrigeren Schichten verbringen 14- bis 17-Jährige täglich drei oder mehr Stunden vor dem Bildschirm, wie 55 Prozent ihrer Eltern einräumten.
Auch Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und Übergewicht sowie zu wenig Vermittlung von Werten und Orientierung wurden als weit verbreitete Erziehungsprobleme genannt. "Es ist eine Gratwanderung, die Kinder zu willensstarken Persönlichkeiten zu erziehen und es gleichzeitig zu schaffen, dass die Kinder die Interessen der anderen auch im Auge haben", sagte Köcher.
Und so sind auch die guten, modernen Eltern manchmal einfach nur ausgelaugt vom Erziehen. Zwei Drittel der Väter und Mütter gaben an, Erziehungsarbeit sei "anstrengend" - auch wenn Kindererziehung das eigene Leben bereichere. Knapp die Hälfte der Eltern sagten, es sei in den letzten Jahren schwieriger geworden, im heutigen gesellschaftlichen Umfeld Kinder zu erziehen. 62 Prozent der befragten Eltern beklagten, die Arbeit, die sie bei der Erziehung ihrer Kinder leisten, werde gesellschaftlich nicht ausreichend anerkannt.
Deswegen wünschen sie sich auch mehr Unterstützung von außen. Eltern von Kindern, die im Kindergarten sind, waren noch relativ zufrieden. Nur 19 Prozent bemängelten die Erziehungsleistung dort. Anders sieht es bei den Schulen aus: Über die Hälfte der Eltern von Schulkindern gab an, es gebe Defizite.
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte bei der Präsentation der Studie, dass das Familienleben in Deutschland "beileibe kein kritischer Sozialfall", sondern eine attraktive Lebensform sei. Der Schlüssel zum Gelingen sei allerdings Zeit. Dazu gehöre auch die Ausweitung der Vätermonate, die "ganz sicher in das nächste Regierungsprogramm" gehöre.
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