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ErzieherInnen proben den Aufstand

■ Heftige Kritik an Aufstockung der Gruppengrößen / Uhl: Selbstkritisch in Stilfrage, beinhart im Inhalt

„Keiner geht mehr, keiner geht mehr rein, ...“. Als nach einer knappen halben Stunde Teilpersonalversammlung etwa 500 KindergärtnerInnen und ErzieherInnen der zuständigen Senatorin einen rhythmisch beklatschten Gassenhauer zu Gehör brachten, da lächelte Sabine Uhl noch. Zwei Stunden später war ihr die Freude vergangen. Denn da hatten sich die Fronten zwischen der Senatorin und ihren Bediensteten weiter verhärtet.

Aktueller Anlaß für den Streit: Am 30. Juni hatte Uhl ohne Infor

mation der Personalräte die Dienstanweisung 1/90 erlassen, mit der die Gruppengröße in Kindergärten von bislang 18 auf 20 angehoben werden soll. Gleichzeitig wurde die Konzeption für die Arbeit ohne Absprache mit den verantwortlichen PädagogInnengeändert. Künftig soll in altersgemischten Gruppen und nicht mehr in Gruppen für die drei-, vier-, oder fünfjährigen Kinder erzogen werden. Kleines Bonbon: Für jedes zusätzliche Kind sollen drei zusätzliche ErzieherInnen -Stunden pro Woche

bewilligt werden. Mit diesem „Überraschungscoup“ (Personalrat Matthias Ehmke) sollen 360 zusätzliche Kitaplätze geschaffen werden. Und umgesetzt werden soll das Ganze bereits zum Beginn des neuen Kindergartenjahres am 1.8.

Für Ehmke ein Ding der Unmöglichkeit: „Der 1.8. ist nicht zu halten“, meinte er und drohte der Senatorin mit „Kampfbereitschaft und Durchsetzungskraft der Kollegen“ und juristischen Schritten: „Wenn die Amtsleitung ohne Mitbestimmung das

Dekret durchsetzen will, gehen wir vor das Verwaltungsgericht.“

Für ihre Antwort (Uhl: „Ich hab‘ das selber aufgeschrieben“) verließ die Senatorin ihren Platz im überfüllten Auditorium der Schlachthof-Kesselhalle, um sich den Untergebenen von Angesicht zu Angesicht zu stellen. Ihre kleine Entschuldigung in Richtung „liebe KollegInnen und Kollegen“: „Ich nehme die Kritik des Personalrates, nicht vorab informiert worden zu sein, sehr ernst.“ Konsequenzen aus dem Ernstnehmen: Keine. Die Frage der Gruppengrößen sei nicht „mitbestimmungspflichtig.“ Um den Nachfrageüberhang nach Kitaplätzen abzubauen, bedürfe es eines Kraftaktes, „der auch als solcher erkannt wird.“ In den bremischen Kindergärten seien nicht alle möglichen Plätze besetzt, so habe ein Vergleich von Raumgröße und Anzahl der Kinder ergeben. Der vorhandene Platz aber müsse „soweit pädagogisch vertretbar“ ausgeschöpft werden. Zu den Nachfragen des Personalrates, nach einer neuen inhaltlichen Konzeption, der Umsetzung des drei-Wochenstunden-je-Kind-Programms und den absehbaren organisatorischen Schwierigkeiten hatte Uhl keine Antworten.

„Was für ein Gewäsch“, „Bla, bla, bla, bla“, kamen denn auch lautstark die Protestrufe, nachdem Uhl sich wieder ins Auditorium zurückgezogen hatte. Und die nachfolgenden RednerInnen von der Kreisfrauenbeauftragten des DGB über den OTV-Sekretär bis

zu zahlreichen RednerInnen aus der Praxis machten denn auch aus ihrer Kritik über die „unfähige und arrogante“ Senatorin lautstak Luft. Ganz anders, aber am lautstärksten beklatscht, machte sich eine Gruppenleiterin aus dem Kita Delmestraße rhetorisch an die Senatorin heran. „Hoffnung“ habe sie in Uhl gesetzt, schließlich sei sie eine Frau der Praxis. (Uhl hatte Mitte der 70ger Jahre ein Jahr im Kindergarten gearbeitet.) Jetzt, wo Kinder im Schnellverfahren zu „Überlastquoten“ degradiert würden, stelle sich eine dreifache Frage: „Entweder war ihre Praxis zu kurz, oder es ist zu lang her, oder die Fachlichkeit ist auf dem Weg zum Senatorensessel verloren gegangen.“

Fachlichkeit, die Uhl wenigstens in einem Punkt nicht abzusprechen ist. Als sich die Versammlung auf kommenden Montag früh zur Fortsetzung vertagte, drohte sie mit rechtlichen Schritten. Den KindergärtnerInnen war's egal: Mit rhythmischem Klatschen bestätigten sie der Versammlungsleitung: Wir kommen trotzdem.

hbk

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