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Erzählungen aus NordkoreaKeiner tanzt aus der Reihe

Ein literarischer Sensationsfund, der Autor schreibt unter Pseudonym: Bandis „Denunziation“ erzählt Geschichten höchst unterschiedlicher Figuren.

Man bringt sich gegenseitig auf Linie. Szene in einer U-Bahn in Pjöngjang, April 2017 Foto: reuters

Korea ist ein altes Kaiser- und Königreich, das unter Fremdherrschaft der Mongolen, Chinas und Japans stand. Als Kim Il Sung 1948 die nordkoreanische Republik gründete, verband er dynastische Erbfolge mit autoritärer Planwirtschaft. Der dortige Personenkult sucht seinesgleichen, der Eiserne Vorhang war, verglichen mit den Schanzen Nordkoreas, nicht mehr als Maschendraht. Kimchi, Koreakrieg und Choreografie der Masse, viel mehr fiel bis vor wenigen Jahren kaum jemandem ein zu dem Land. Es mutet daher fast wie ein schlechter Scherz an, dass nun ein literarischer Sensationsfund zu vermelden ist, der Autor aber unbekannt bleiben muss.

Der Mann hinter dem Pseudonym Bandi soll 1950 geboren worden und Mitglied im Schriftstellerverband sein. Angeblich lebt er noch in Nordkorea; laut Verlag wurde der Autor Zeuge der Ereignisse um den „beschwerlichen Marsch“, der Hungersnot, die vom Ende der achtziger Jahre bis in die neunziger Jahre in dem Land herrschte, was ihn zum Gegner des Re­gimes machte.

Bandi bedeutet „Glühwürmchen“. In der Tat erhellt er mit seinen Storys die Verhältnisse – sofern nicht doch alles ein PR-Coup ist, wie nach der Erstveröffentlichung in Südkorea im Jahr 2014 von Nordkorea unterstellt wurde. Gewissheit kann es nicht geben – doch warum hätte man dafür Erzählungen über die Zeit der 1990er Jahre wählen sollen, keine aktuellen?

Im Übrigen sind solche Spekulationen angesichts der literarischen Qualität der sieben in „Denunziation“ versammelten Geschichten müßig. Geschildert werden darin höchst unterschiedliche Figuren und Szenen, ein Facettenreichtum, der für holzschnittartige Momente rundum entschädigt. Männern und Frauen, Armen und Reichen, Dissidenten und Funktio­nären gibt Bandi eine Stimme.

Anklage und Selbstanklage

Der koreanische Originaltitel bezieht sich auf eine Tat zwischen „Denunziation“ und „Anklage“, was sich an den Übersetzungen in europäische Sprachen ablesen lässt. „Anklage“ – ein J’accuse – trifft es vielleicht am besten. Die Anklage zielt auf die orchestrierte Willkür, die individuelles Denken und Fühlen unterbindet; die Selbstanklage auf die eigene Taub- und Blindheit, sich (zu lange) „Hirngespinsten“ überlassen zu haben.

Das Buch

Bandi: „Denunziation“. Aus dem Ko­reanischen von Ki-Hyang Lee. Piper, München 2017. 224 S., 20 Euro.

Man darf in der Öffentlichkeit nicht weinen, weil das „als Auflehnung“ gewertet wurde „und darauf die Todesstrafe stand“. Doch haben, wie die vielleicht eindrucksvollste Geschichte, die den Titel „Die Bühne“ trägt, zeigt, alle öffentlich zu klagen, als Kim Il Sung stirbt. Sogar „der Kristallkronleuchter an der Decke schien Tränen zu vergießen“.

Massenchoreografie geht hier Hand in Hand mit Massenpanik. In einem Bahnhof bekommt eine der Protagonistinnen das Gefühl, „sich mitten in einem Aufstand ausgehungerter Sklaven zu befinden“.

Ubiquitäre Lautsprecher halten zur strikten Befehlserfüllung an, sodass am Nationalfeiertag nach einem katastrophalen Unwetter binnen 45 Minuten eine Million Menschen die ihnen zugewiesene Position bei den Paraden einnehmen. Dies offenbart, „von welcher Art die Macht war“, die dergleichen organisieren konnte.

Nur die Natur spielt nicht mit

Der private Raum bietet in diesem Land, in dem „Täuschung, Lüge, Unterdrückung und Demütigung regieren“, keine Rückzugsmöglichkeit; auch hierhin dringen die Lautsprecherstimmen. Der Staat schreibt die Farbe der Gardinen vor: „In allen anderen Wohnungen hier sind die gleichen Vorhänge zu sehen, nur deine tanzt aus der Reihe.“ Er baut darauf, dass Familienmitglieder sich aus Angst vor Sippenhaft und Lager gegenseitig auf Linie bringen.

taz.am wochenende 6./7. Mai

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Die einzige Größe, die sich der Kontrolle entzieht, ist die Natur. Womöglich spielen Regen, Kälte und Wärme in diesen Erzählungen deshalb eine so prominente Rolle.

Fast ein halbes Jahrhundert hat Kim Il Sung mit dubiosen Zukunftsversprechen und harter Hand geherrscht und sich königsgleich verehren lassen; eine einfache Frau fällt bei seinem Anblick auf die Knie und stößt den allen eingetrichterten Satz aus, der dem Großen Führer Gesundheit und ein langes Leben wünscht.

Sein Enkel Kim Jong Un tritt beherzt in seine Fußstapfen. Bandis Erzählungen sind daher weniger Sensation als vielmehr bittere Mahnung: Auch ein großes Orchester besteht aus Einzelstimmen.

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