Erweiterung der Berliner Mauergenkstätte: Der rostige Stahl des Gedenkens
Am Freitag eröffnet der erste Abschnitt der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Mit einem zeichenhaften Konzept aus rostrotem Stahl wird sehr zurückhaltend an die traumatische Spaltung der Stadt erinnert.
Rostbraun, betongrau und grün sind die bestimmenden Farben auf dem 300 Meter langen ersten Abschnitt der "Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße". Im satten grünen Gras gehalten haben die Architekten Sinai/ON/Mola die weiten Flächen des ehemaligen Todesstreifens zwischen Garten- und Ackerstraße. Grau dagegen stehen die originalen Mauerreste im Raum.
Den nicht mehr existierenden Grenzverlauf schließlich markiert ein Vorhang aus dicht gesteckten, rostigen, über drei Meter hohen Stahlstäben. Aus dem gleichen Cortenstahl werden die authentischen Spuren des Postenwegs, der Hinterlandmauer oder anderer früherer Weg- und Absperrsysteme sehr filigran und künstlerisch nachgebildet. "Alles, was nach dem Fall der Mauer 1989 verloren ging, haben wir nicht rekonstruiert", erklärt Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, als er über das Gelände führt. "Alles, was fehlt", werde durch die neuen "leuchtend rostigen Stahlelemente nachgezeichnet".
Die dicht bebaute Bernauer Straße an der Grenze zwischen Wedding und Mitte wurde zum Brennpunkt deutscher Nachkriegsgeschichte, als 1961 DDR-Soldaten die Häuser auf der Ostseite sperrten. Viele Bewohner entschlossen sich zur Flucht durch einen Sprung aus den Fenstern.
Bis zum Fall der Mauer 1989 wurden hier fünf Menschen beim Versuch, die Mauer zu überwinden, getötet.
1980 verstärkte die DDR den Grenzbereich, der bisher aus Mauerresten der Häuser bestand, mit den Betonquadern.
1985 wurde die Versöhnungskirche im Grenzbereich gesprengt.
2006 entschied der Senat, die riesige Brache zu erhalten und die zentrale "Gedenkstätte Berliner Mauer" zu entwickeln.
Ab 2012/13 soll der ehemalige Grenzstreifen als 1,5 km langer Gedenkort die Zeit der Mauer und die Überwindung der Teilung insgesamt dokumentieren.
Weitere Infos unter www.berliner-mauer-dokumentationszentrum.de
Wenn am Freitag der knapp 300 Meter lange und für 3,2 Millionen Euro teure Gedenkabschnitt vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der Mauer-Stiftung eröffnet wird, kommt das einem kleinen Schritt gleich auf der insgesamt 1,5 Kilometer langen Geschichtsmeile, die entlang der Bernauer Straße geplant ist.
Dennoch muss die Fertigstellung des Teilstücks als großer Sprung in der Erinnerungslandschaft Berlins bezeichnet werden. Ist es doch geglückt, nach dem Streit über die Gestaltung ein ebenso schlichtes wie wirkungsvolles Konzept zum Gedenken an die Zeit des Mauerbaus zu finden. Die befürchtete Masse aus Mauer- und Erinnerungsschrott ist - bis auf einige Ausnahmen wie die Grabungen nach Wachturmfundamenten, elektrischen Leitungen oder nachts leuchtende Grenzlampen - zurückgenommen worden. "Mit den abstrakten Mitteln", sagt Klausmeier, werde die zeitgeschichtliche Bedeutung der einstigen Schnittstelle zwischen Ost- und Westberlin "auf andere, neue Weise sichtbar" gemacht. Die Erinnerung an die breite, tiefe Wunde, die die Bernauer Straße bis dato hinterlassen hat, werde durch das zurückhaltende, assoziative Gedenkkonzept nicht emotional aufgeladen. Die 270.000 Besucher jährlich fänden sich in "keiner Todesstreifenkulisse", sie würden aufgeklärt.
Ab 2011 soll der zweite Abschnitt, auf dem bereits die Kapelle der Versöhnung steht, in gleicher zeichenhafter Weise realisiert werden. 2012 - Klausmeier befürchtet, "dass es 2013 werden könnte" - wird mit der Fertigstellung der insgesamt über 20 Millionen Euro teuren Gedenkstrecke über die Brunnenstraße bis zum Mauerpark gerechnet. Das "Gesamtkonzept Berliner Mauer" war 2005 vom damaligen Kultursenator Thomas Flierl (Linke) mit dem Bund entwickelt worden. Für Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) bildet die Gedenkstätte heute "den zentralen Eckstein" im dezentralen Feld des Mauergedenkens.
"Das Motiv rostiger Stahl", wie der Direktor das morbide Programm aus Stahlstangen, Stelen, Platten oder Tafeln nennt, teilt sich in drei Schwerpunkte auf: Infostelen an der Ackerstraße bieten Hör-, Text- und Filmmaterial zur Geschichte der Mauer und des Grenzstreifens an. Auf dem mittleren Abschnitt an der ehemaligen Bergstraße erzählen weitere Stahlroboter vom Verschwinden der Straße sowie dem immer dichter konzipierten Aufbau des Grenzstreifens mit Wachtürmen und Schussanlagen. Der dritte Standort erinnert mit einer stählernen Bilderwand - um die es Krach gab, weil die toten DDR-Grenzer außen vor blieben - an die 136 Opfer an der Mauer. Zudem erzählen weitere Infostelen die Geschichte des Friedhofs der Sophiengemeinde, der ab 1961 im Grenzabschnitt lag und dessen nördliche Grabfelder nach dem Mauerbau eingeebnet wurden.
Es ist gut, dass die Sophiengemeinde hier so viel Aufmerksamkeit erhält: Ohne die Sturheit der Gemeinde und deren Pfarrer Manfred Fischer würde es wohl weder die Mauerreste noch dieses Gedenkkonzept geben. Die Gemeinde hatte nach dem Mauerfall die Platten auf ihrem einstigen Friedhofsareal nicht völlig abgetragen. Erst 1997, "um auf die sich dort befindlichen Grabstellen ziviler Kriegsopfer aufmerksam zu machen", so Fischer, schlug man eine 19 Meter lange Lücke in die Mauerwand.
Als 2008 Kulturpolitiker aller Couleur bis hinauf zu Staatsminister Bernd Neumann die Idee ins Spiel brachten, die Lücke wieder mit noch vorhandenen originalen Mauerteilen zu schließen, um damit den einstigen Schrecken besser erlebbar zu machen, weigerte sich die Gemeinde. "Ein Disney", eine DDR-Revision, werde es mit ihm nicht geben, mauerte Pfarrer Fischer.
Wie sinnvoll diese Mauer war, verdeutlicht jetzt die neue Gedenkstätte.
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