Erste Opernaufführung im Irak: Bassa Selim auf besonderer Mission
Die Reise nach Sulaimaniyah: Die Kölner Oper brachte Mozarts Türkenoper "Die Entführung aus dem Serail" in die autonome Region Kurdistan im Irak.
SULAIMANIYAH taz | Sulaimaniyah gilt als die säkularste Stadt Kurdistans. In der explosionsartig wachsenden Stadt in der autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Irak herrscht Bauboom. Überall wuchern neue Wohnviertel und hastig errichtete Gewerbebauten, Hotels klettern in den Himmel, und im Zentrum erinnert ein im Bau befindlicher Hochhausturm an das berühmte Burj Al Arab - Segel von Dubai. Eine Stadtplanung gibt es nicht.
In der verhältnismäßig liberalen Stadt wurden 1968 die erste Universität und bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts die erste Frauenschule des Landes gegründet. Dort ging das erste Theaterstück über die Bühne, es gibt seit langem eine Hochschule der Schönen Künste und inzwischen an die dreißig freie Theatergruppen.
Und seit vergangenem Samstag kann sich Sulaimaniyah rühmen, auch der Schauplatz der ersten Opernaufführung im Irak gewesen zu sein: Die Kölner Oper gastierte mit Mozarts Türkenoper "Die Entführung aus dem Serail" im 1.600 Plätze fassenden Kunstpalast Telary Honer.
Als der irakische Vizepräsident Mullah Bachtiar am 26. November letzten Jahres auf der Premierenfeier im Kölner Palladium Uwe Eric Laufenbergs Neuproduktion der "Entführung" in den Irak einlud, rechnete wohl niemand ernsthaft damit, dass die Oper drei Monate später tatsächlich mit einer hundertköpfigen Truppe in die Krisenregion aufbrechen würde. Niemand ahnte damals allerdings auch, wie dramatisch sich die politische Lage in den arabischen Ländern entwickeln würde.
Spiel mit westlichen Islamklischees
Die spontan wirkende Einladung Bachtiars folgte in Wahrheit keineswegs nur einem Impuls, sondern war vielmehr von langer Hand vorbereitet. Schlüsselfigur und Drahtzieher des abenteuerlichen Gastspiels ist nämlich eigentlich der kurdisch-deutsche Schauspieler und Regisseur Ihsan Othmann, der hüben wie drüben arbeitet und mit Christoff Bleidt, dem Leiter des Berliner Theaterhauses der Mitinitiator des Berliner Netzwerks für den kulturellen Wiederaufbau im Irak ist.
Seit mehr als fünf Jahren bemüht sich die Initiative um den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und dem Irak. Othmann hält diese Arbeit für existenziell: "Ich als Iraker weiß, wie schwer es für das Volk hier gewesen ist nach 50 Jahren Diktatur, und ich denke, die allererste Sache, die im Irak nach 2003 nach vorne gebracht werden muss, ist der Kulturaustausch."
Der Schauspieler verkörpert in der Produktion des Kölner Opernintendanten die heikle Sprechrolle des Bassa Selim und spricht seinen Part auf Kurdisch. Regisseur Laufenberg hat die Handlung in Mozarts Singspiel in die triste Gegenwart verlegt, irgendwo zwischen Berlin-Neukölln und Bagdad ins Import-Export-Milieu. Der orientalische Potentat Bassa Selim verschiebt bei Laufenberg Waffen und elektronische Geräte.
Lustvoll und bewusst das politisch Inkorrekte streifend, spielt die Regie mit westlichen Islamklischees. Ein islamisches Land als Aufführungsort einer solchen Produktion hätte sich also auch bei stabiler politischer Lage als heißes Pflaster erweisen können, trotz Mozarts humanistischem Plädoyer für friedliche Koexistenz und Laufenbergs Regiekniff mit dem kurdischen Bassa.
Doch dann nahmen parallel zu den Gastspielvorbereitungen die Dinge im arabischen Raum ihren eskalierenden Lauf, und knapp zwei Wochen vor dem Aufbruch der Kölner Truppe Anfang März verfinsterte sich ausgerechnet in Sulaimaniyah die Lage. Bislang hatte die autonome kurdische Region als sicherste im Irak gegolten, doch seit Mitte Februar begannen auch dort die Protestmärsche, an deren Rändern es zu mindestens einem Todesfall kam.
Gewehr im Anschlag
Zu diesem Zeitpunkt ließ sich das Gastspiel, das von der Patriotischen Union Kurdistan - der Regierungspartei der autonomen Region, der Mullah Bachtiar vorsteht - komplett finanziert worden ist, jedoch nicht mehr aufhalten. Und schließlich reiste die Kölner Oper gegen alle Bedenken Ende Februar in zwei Etappen auf beschwerlichen Wegen doch noch ins wilde Kurdistan, um unter widrigsten Bedingungen die erste Opernaufführung im Irak vorzubereiten.
Da die dortige Situation von Deutschland aus schwer einzuschätzen war, stellte die Theaterleitung allen Mitwirkenden die Teilnahme am Gastspiel frei. Im Bewusstsein des nicht zu unterschätzenden Risikos dieser Reise setzte sich das Opernteam daher ausschließlich aus Überzeugungstätern zusammen, die den Anstrengungen der Reise mit stoischer Ruhe begegneten.
Vorsicht war allerdings auch im Interesse der Gastgeber oberstes Gebot in Sulaimaniyah: Sicherheitskräfte bewachten jeden Schritt der Operntruppe, selbst beim Zigarettenholen wurde man von einer Security-Eskorte begleitet, und vor dem Hotel wachten Männer in Tarnanzügen mit geschulterter Maschinenpistole. An den Anblick scharfer Waffen gewöhnte man sich allerdings rasch, denn im Irak gehören sie zum Alltag. In der Innenstadt herrscht oftmals irritierende Militärpräsenz, und nachts bewachen hier und da Privatleute ihre Straße mit dem Gewehr im Anschlag. Selbst der kurdische Bühnenmeister überraschte am Arbeitsplatz mit einer Pistole im Hosengürtel.
Die Kölner Theaterleute hatten zunächst jedoch andere Sorgen, denn der Spielort Telary Honer war zwar vorab für operntauglich befunden worden. Tatsächlich aber herrschten Bedingungen, die allen Mitwirkenden ein Höchstmaß an Improvisationskunst abforderten.
Es gab weder Garderoben noch eine Theaterinfrastruktur, bei der ersten Bühnenbegehung stellte sich heraus, dass der Orchestergraben unter einem roten Teppichboden freigelegt werden musste und keinen unterirdischen Eingang besitzt, so dass das Orchester von der offenen Bühne mit dem Graben heruntergefahren werden muss. Die Container mit Bühnenbild und Requisiten kamen mit 24-stündiger Verspätung an, alle Pappkisten waren vom Zoll aufgeschlitzt. Der Technische Leiter der Kölner Oper Volker Rhein nahm das Chaos lakonisch: "Gastspiele sind immer speziell und dieses ist noch mal spezieller."
Mit der Premiere nahte der Tag der Wahrheit: Wie würde die Oper vom kurdischen Publikum aufgenommen? Wie würden die Orientklischees ankommen? Auch Intendant Uwe Eric Laufenberg war sich vor der Premiere alles andere als sicher: "Oper ist hier ein völlig fremdes Medium, es ist ein bisschen so, als wenn das Opernufo hier auf einem unbekannten Planeten landet und insofern Reaktionen hervorrufen wird, die völlig neu sind, die nicht einstudiert sind."
Die Überraschung hätte schließlich größer nicht ausfallen können, denn tatsächlich übertrafen die Reaktionen der Kurden im voll besetzten 1.600-Plätze-Saal die kühnsten Hoffnungen: Den größten Beifall heimste die grobe Muslimkarikatur des Haremsaufsehers Osmin ein, dessen Streitereien mit dem emanzipierten Blondchen um die Rolle der Frau wurden mit Heiterkeit und Bassa Selims Versöhnungsworte mit Szenenapplaus quittiert. Die humanistische Botschaft kam an.
Mozarts Musik dagegen schien zunächst so fremd wie das Ritual Oper an sich. Es herrschte Unruhe im Saal, es wurde leise kommentiert und diskutiert und die Handys blieben eingeschaltet. Geklatscht wurde zuerst vorzugsweise mitten hinein in Mozarts Generalpausen. Doch im zweiten Teil wurden die Generalpausen plötzlich verstanden und mit spürbarer Spannung abgewartet. Die Konzentration stieg merklich an und es wurde ruhiger im Saal. So als hätte Mozarts Musik eine natürliche Autorität, die das Ritual Oper von ganz allein entstehen lässt. Am Schluss Standing Ovations und großer Jubel. Von wegen Kulturschock.
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