piwik no script img

Erste Frauensenatorin gestorben"Dass ich mutig bin, wusste ich"

Sie war parteilos, lebte offen lesbisch und kämpfte als erste Frauensenatorin Berlins für die Gleichberechtigung. Am Samstag ist die streitbare Rechtsanwältin Anne Klein gestorben.

Mutige Feministin: Anne Klein bei einer Sondersitzung des Bundesrats 1990. Bild: BArch, B 145 Bild-F085771-0007 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA

Den Frühling wollte Anne Klein noch einmal erleben. Die blühenden Bäume. Der Geburtstag. Das Meer. Und dann, im Sommer, die Provence. Es war, als stünde ihr Wille auf der einen Seite des Lebens, der Krebs, der in ihr wütete, auf der anderen. Eine Zeitlang schien die streitbare Rechtsanwältin und erste Frauensenatorin Berlins stärker.

Ihren 61. Geburtstag am Meer - sie hat ihn gefeiert. Das Fest Anfang März, die Musik der Brandung, die raue Luft, die Wärme der Menschen - "es hat mir Kraft gegeben", mailte sie. Auch den Frühling, die Blumen, das unaufhaltsame Drängen der Natur: Sie hat es, trotz großer Erschöpfung, noch voll Freude gespürt. Nicht so die Provence, der Wunsch war zu groß. Am Ostersamstag ist Anne Klein gestorben.

Sie gehört jener Generation an, die ein Tabu nach dem anderen brechen musste, um die Bundesrepublik aus ihrer Nachkriegsstarre zu holen. Als die gebürtige Saarländerin 22-jährig nach Berlin zieht, nimmt die neue Frauenbewegung dort gerade Kontur an. Dass Politik, Wirtschaft, Wissenschaft nahezu ausschließlich von Männern domiert sind, dass Vergewaltigung und Missbrauch als Kavaliersdelikte gelten, dass die Gesellschaft auf die Doppelbelastung der Frauen und ungleichen Lohn ausgerichtet ist, dass alleinerziehende Mütter und lesbische Frauen mit Stigmata leben - all das sollte angeprangert werden.

Klein kämpft zusammen mit anderen Frauen für Frauenhäuser, gründet eine feministische Anwaltskanzlei, erarbeitet eine Rohfassung des Antidiskriminierungsgesetzes und wird 1989 als Parteilose für die Grünen zur ersten feministischen und offen lesbisch lebenden Senatorin für Jugend, Frauen und Familie ernannt. Als Senatorin und später auch als Präsidentin eines Versorgungswerkes der Rechtsanwälte leistet sie Pionierarbeit - auch gegen Diskreditierungsversuche der Springer-Presse.

Denn Klein hatte vor ihrer Zeit als Senatorin an einem nach dem Kettenbriefprinzip funktionierenden Pilotenspiel mit Geldeinsatz teilgenommen und ein paar tausend Mark gewonnen, die sie dem Frauenhaus spendete. "Zocker-Zora" nannte die Springer-Presse sie. Wer die Gesellschaft modernisiere, müsse mit Gegenwind rechnen, sagte Klein in ihrem letzten Gespräch mit der taz vor zwei Monaten, in dem sie über das Leben spricht, obwohl der Tod schon dazu gehört. "Dass ich mutig bin, das wusste ich."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • SB
    Siegfried Bosch

    "die Gesellschaft auf die Doppelbelastung der Frauen und ungleichen Lohn ausgerichtet ist":

    1. Seit 1972 existiert in Deutschland kein Tarifvertrag mehr, der ungleiches Geld für gleiche oder gleichwertige Arbeit vorsieht -- also gerade in dem Jahr, in dem Frau Klein 22 Jahre alt war. Übrigens sahen bereits die Römischen Verträge gleichen Lohn für gleiche Arbeit vor.

    2. War damals Hochzeit der Hausfrauen -- die Gesellschaft war deshalb keineswegs auf eine "Doppelbelastung der Frauen" ausgelegt; vielmehr sollten Männer außerhäuslich Geld verdienen und die Frauen dafür die drei K beachten. (Übrigens gibt es auch heutzutage keine "Doppelbelastung" von Frauen, denn wie die Zeitverwendungsstudie des stat. Bundesamts http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/wo-bleibt-zeit,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf zeigt, arbeiten Männer eine Schicht Erwerbsarbeit und eine Halbe Familienarbeit, während es bei Frauen gerade umgekehrt ist. In Familien arbeiten Männer sogar etwas länger als Frauen.)

    "dass Vergewaltigung und Missbrauch als Kavaliersdelikte gelten": So wie das formuliert ist, klnigt es so, als hätte sich Frau Klein dafür engagiert, dass tatsächlich etwas für die Opfer von Vergewaltigungen und Missbrauch getan wurde -- unabhägig ihres Geschlechts. Ein bisschen weiter lese ich dann aber doch nur "Frauenhäuser" und kein "Männerhäuser" weit und breit. Also wird auch Frau Klein nicht wirklich Tabus gebrochen haben, sondern fleißig am Stereotyp des gewalttätigen Ehemannes/Vaters/Onkels/Nachbars/... mitgebaut haben. (Eine Qualitätszeitung hätte also nicht das geschrieben, was in dem Artikel steht, sondern: "dass Vergewaltigung und Missbrauch von Frauen durch Männer als Kavaliersdelikte gelten".)

    Und komplett zynisch wird der Artikel bei "dass alleinerziehende Mütter und lesbische Frauen mit Stigmata leben". Hier wird total verkannt, dass männliche Homosexuelle viel stärker von Stigmatisierungen und Diskriminierungen betroffen waren als Frauen (man denke nur daran, dass nur männliche Homosexualität juristisch verfolgt wurde und dass die letzten Rest dieser Ungleichbehandlung erst in den 90ern abgeschafft wurden; man lese dazu, dass schwulen Männern vom BVerfG ein "hemmungsloses Sexualbedürfnis" unterstellt wurde, weswegen diese geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei; auch in der NS-Zeit wurden Lesben in Ruhe gelassen, Schwule hingegen umgebracht). Auch wurde und wird nicht beachtet, dass alleinerziehende Mütter gegenüber Männer privilegiert sind, denn schließlich haben sie automatisch das Sorgerecht, während ledige Väter darum inzwischen wenigstens kämpfen dürfen (aber das auch erst seit ein paar Monaten); vorher war man auf Gedeih und Verderb auf das Wohlwollen der Mütter angewiesen. In der Zeit, von der dieser Artikel handelt, galt das sogar noch für verheiratete Väter und eheliche Kinder.

    Mutig wäre sie übrigens gewesen, wenn sie das angeprangert hätte -- davon ist aber nicht die Rede.

  • C
    Comment

    Den verbliebenen Angehörigen und Freunden mein aufrichtiges Mitgefühl, zum Verlust eines geliebten und geschätzten Menschen.

     

    Mit Vorurteilen aufzuräumen und Tabus zu brechen ist eine wahrhaft große Idee.

    Dies auf Kosten neuer Vorurteile und Schaffung neuer Tabus zu erreichen nicht.

     

    Mir war bis heute Anne Klein kein Begriff.

    Dies mag dem Altersunterschied und der geografischen Distanz geschuldet sein.

    Aber in Zeiten überregionaler Vernetzungen, insbesondere über das Internet, diesen Namen in keiner Frauenhausdebatte aufgenommen zu haben, ist doch irgendwie merkwürdig?!

    Leider finde ich keinen Hinweis auf eine letzte Positionierung von Anne Klein zu dieser Frage, sind es doch heute die Männer die mit Stigmata so ihre liebe Not haben.

     

    Einem Nachruf von Alice Schwarzer entnehme ich lediglich:

    "Nach der Wiedervereinigung kandidiert die als Senatorin umstrittene – und auch von Feministinnen wenig unterstützte - Anne Klein nicht mehr."

     

    Und nun kommt mir wieder einmal der Name Katharina Rutschky († 14.01.2010) in den Sinn ...