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Erste Ergebnisse der ParlamentswahlTunesier wählen Islamisten ab

Nach inoffiziellen Ergebnissen gewinnt die säkulare Partei Nidaa Tounes. Aber sie braucht Partner. Bis zur Bildung einer Regierung wird es dauern.

Anhänger von Nidaa Tounes feiern in Tunis ihren Wahlsieg. Bild: ap

MADRID taz | Umfragen an den Wahllokalen und erste Teilergebnisse genügten. Der Chef der tunesischen Islamistenpartei Ennahda (Erneuerung), Rachid al-Ghannouchi, akzeptierte am Montagabend die Niederlage seiner Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag. Er griff zum Telefon und gratulierte seinem Kollegen der säkularen Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens), Béji Caïd Essebsi, zum Wahlsieg.

Ennahda schnitt 2011 bei den ersten freien Wahl des Landes zur verfassungsgebenden Versammlung mit 37 Prozent und 89 Abgeordneten als stärkste Partei ab. Doch nun sackte sie nach noch nicht offiziell bestätigten Ergebnissen auf 31,3 Prozent und 68 Sitze ab.

Nidaa Tounes liegt demnach mit 38,2 Prozent bei 83 Abgeordneten vorne. Platz drei konnte sich die von einem Geschäftsmann gegründete UPL mit 17 Abgeordneten (7,8 Prozent) sichern, die kommunistisch beeinflusste Volksfront bekam 12 Sitze (5,6 Prozent). Im Parlament sitzen 217 Abgeordnete.

Ennahda erhält eine Quittung für ihre Regierungsarbeit

Mit dem Wahlergebnis haben die Wähler Ennahda für ihre Regierungsarbeit abgestraft. Denn die Ausarbeitung der neuen Verfassung dauerte mehr als doppelt so lange wie geplant. Zwei Morde an linken Oppositionspolitikern 2013 und die darauf folgenden Massenproteste brachten den Übergang zur Demokratie fast zum Scheitern. Letztendlich waren es zivilgesellschaftliche Organisationen,die einen nationalen Dialog ins Leben riefen. Ennahda zog sich aus der Regierung zurück. Ein Technokratenkabinett führte das Land seit Dezember 2013 zu einer neuen Verfassung und den Wahlen.

„Wir haben gewonnen. Es lebe Tunesien“, prangt seit Montagabend auf der Facebookseite von Nidaa Tounes. Die siegreiche Partei entstand erst vor zwei Jahren. Sie ist ein Sammelsurium aus Liberalen, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, aber auch ehemaligen Mitgliedern der nach der Revolution aufgelösten Einheitspartei RCD. Sie alle verbindet der Wille, den Islamisten den Weg an die Macht zu verbauen. Das ist ihnen gelungen. Der 87-jährige Parteichef Essebsi war nach dem Sturz Ben Alis Übergangspremier und in den ersten Jahren nach der tunesischen Unabhängigkeit Minister.

Nidaa Tounes hat keine Mehrheit im Parlament

Mit über 80 Sitzen ist Nidaa Tounes allerdings weit von einer Mehrheit im Parlament entfernt. Ennahda bringt sich geschickt als Koalitionspartner ins Gespräch. „Es ist egal, wer erster und wer zweiter ist, Nidaa oder Ennahda. Das Wichtige ist, dass Tunesien eine Regierung der nationalen Einheit braucht, eine Politik des Konsenses“, erklärte Islamistenschef Ghannouchi noch in der Wahlnacht. Das würde Tunesien von den Nachbarländern, wo der arabische Frühling in Gewalt und Chaos endete, unterscheiden, mahnte er.

Bei Nidaa Tounes will niemand so weit gehen. Denn am 23. November steht die Präsidentschaftswahl bevor. Solange diese nicht gewonnen ist – und das wird im Falle eines zweiten Wahlgangs nicht vor dem 28. Dezember der Fall sein – dürfte es keine ernsthaften Koalitionszusagen geben. Neben einer großen Koalition mit der Ennahda sympathisieren viele bei Nidaa Tounes mit der Idee einer rein säkularen Mitte-Links-Koalition. Doch dazu müssten mehrere Partner an Bord geholt werden.

Auch bei Ennahda sind bei Weitem nicht alle von einer Regierung der nationalen Einheit begeistert. „Nidaa Tounes wird von Menschen aus dem alten Regime gebildet. Für Tunesien, das den arabischen Frühling ausgelöst hat, ist es wirklich sehr traurig, dass es so enden muss. Das sind Menschen, die bereits einmal die Zügel in der Hand hatten, und wir haben gesehen, was passiert ist“, sagte Teycir Ben Salem, Vorstandsmitglied und Sprecher der Ennahda-Jugend im Radio.

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