Erste Bergankunft bei der Tour de France: Ende des Aufgalopps
Am Wochenende beginnt mit der ersten Bergankunft bei der Tour das wahre Rennen um Gelb. Die erste schwere Etappe führt zur Skistation Planche des Belles Filles.
METZ taz | Die einen haben Bammel, die anderen vibrieren vor Erregung. An diesem Wochenende beginnt die wahre Tour de France. Nach dem Aufgalopp mit Freifahrtscheinen für die Sprinter und der Hauptsorge der Klassementfahrer, nicht in einen Sturz zu geraten, beginnt jetzt das echte Kräftemessen um Gelb. Fabian Cancellara dürfte dabei das Leadertrikot verlieren.
Der Schweizer muss am Samstag einfach zu viel Gewicht zur ersten von insgesamt nur drei Bergankünften bei der Tour de France 2012 hochschleppen. Eine 5,9 Kilometer kurze, aber extrem steile Rampe (Durchschnittssteigung 8,5 Prozent mit Spitzen von 11, 13 und 14 Prozent) müssen die Fahrer erklimmen, bevor der Weg zur Skistation mit dem sprechenden Namen Planche des Belles Filles frei ist.
Hier dürfte es erste Aufschlüsse über die Verfassung der Tourfavoriten geben. „Jeder wird hier versuchen, Zeit auf Bradley Wiggins herauszuholen“, mutmaßte der sportliche Leiter des Briten, Sean Yates. „Wer sich gut fühlt, der wartet nicht“, lautet die Kampfansage von Rabobanks Teamchef Erik Breukink.
Der Holländer hat mit Robert Gesink und Bauke Mollema zwei Kletter-Asse mit Klassement-Hoffnungen, aber nicht so exzellenter Zeitfahrperformance im Kader. „Auch wir müssen uns etwas einfallen lassen“, stimmt Sylwester Szmyd, einer der besten Helfer des Podiumskandidaten Vincenzo Nibali in den Bergen, diesem Szenario zu.
Wiggins und Evans isolieren
„Und wir werden uns auch etwas einfallen lassen“, verspricht der Pole. Ein Schlüssel könnte bereits der Col de Grosse Pierre nach gut der Hälfte des Parcours sein. Hier geht es für Liquigas und die durchaus zur Mitarbeit bereiten Kletterer von Rabobank darum, Wiggins und Titelverteidiger Cadel Evans von deren Begleitern zu isolieren.
Auch der alte Kämpe Alexander Winokurow verspricht, hier etwas zu riskieren. „Wino ist ein Champion. Der ist immer zu einer großen Leistung imstande. Hier bei der Tour will er seine Karriere mit einem bedeutenden Sieg abschließen“, sagte Astana-Teamchef Giuseppe Martinelli der taz.
Martinelli verspricht, dass es dabei sportlich zugeht und nicht finanziell. Die durch eine Aussage der Witwe von Winos Landsmann Andrej Kiwilew und den Abdruck einer Banküberweisung neu entfachten Gerüchte, der Altmeister habe sich den Sieg bei Lüttich–Bastogne–Lüttich 2010 erkauft, um damit dem kleinen, nach einem Sturz gestorbenen Kasachen ein Denkmal zu setzen, wehrte Martinelli als „Bullshit“ ab.
Trotz aller Attacke-Ankündigungen könnte dennoch die größere Bedeutung dem Sonntag zukommen. Denn wegen der Kürze des Anstiegs zur Planche des Belles Filles sind große Abstände unter den Favoriten kaum zu erwarten. Der Ausflug ins Schweizer Porrentruy ist hingegen mit mehr als einem halben Dutzend Schwierigkeiten bestückt.
Sieben Gipfel
Wie die Zacken auf dem Rücken eines Stegosaurus ragen die sieben Gipfel des Tages aus dem Profil heraus. „Dieses ständige Auf und Ab ist für uns Nicht-Bergfahrer mörderisch“, blickt Michael Schär, einer der Bodyguards von Titelverteidiger Cadel Evans, mit Bangen auf den Trip in seine Heimat voraus.
Hier könnten die Verteidigungsbollwerke von Sky und BMC tatsächlich erschüttert werden. Den Zuschauern kann das nur recht sein. Zwar lehrt die Erfahrung der letzten Frankreichrundfahrten, dass die Siege im Zeitfahren errungen werden. Aber verlieren kann man sie bereits im Mittelgebirge.
Das macht den Reiz dieses Wochenendes aus. Eine Enttäuschung ist für das Peloton aber bereits jetzt absehbar. Der jungen Damen, die dem einsamen Ort den Namen gaben, werden die Radler nicht ansichtig werden. Der Legende zufolge versteckten sich während des 30-jährigen Krieges die Dorfschönen vor der schwedischen Soldateska.
Als sie entdeckt wurden, stürzten sie sich ins Wasser. Der Anführer der Soldaten, dessen Lenden beim Anblick des einen Mädchens entflammt waren, hechtete zur Rettung hinterher. Er brachte aber nur noch einen leblosen Körper an die Wasseroberfläche. Das Etappenziel ist also ein Ort des Schreckens.
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