Erstarkender Rechtsradikalismus: Hatz auf Roma in Ungarn
Ungarn ist in eine gravierende wirtschaftliche Schieflage geraten. Mit der Existenznot der Bürger erstarken die Radikalen. Gewalt gegen Roma ist nahezu alltäglich.
In den Vorgärten hocken kleine, bösartige Kläffer. Beim Anblick fremder Passanten geraten sie außer sich. Entfesselte Tobsucht zwischen Geranien und Stiefmütterchen. Eine Eigenheimsiedlung am Rand der Industriestadt Györ in Nordwestungarn. Támas und Tímea Sz., beide 33 Jahre alt, Eltern zweier kleiner Mädchen, sitzen in der Wohnküche ihres Hauses und fragen sich, wie es weitergeht. Sie müssen Raten für einen Hypothekenkredit und zwei Pkws zahlen. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat die ungarische Währung ein Viertel ihres Werts verloren, die Raten der Sz. verdoppelten sich, sie haben kaum noch Geld, um einzukaufen.
Wahlaussichten: In Meinungsumfragen ist die rechtsextreme Partei Jobbik konstant die einzige, die bei Wahlen außer der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) und dem nationalkonservativen Bund Junger Demokraten (Fidesz) einen Einzug ins Parlament schaffen würde. Jobbik erhielte demnach zwischen 5 und 10 Prozent der Stimmen.
Ressentiments: Laut einer aktuellen Meinungsumfrage des ungarischen Instituts Progressiv sympathisiert jeder zehnte Ungar mit der paramilitärischen "Ungarischen Garde". Mehr als die Hälfte aller Befragten fürchten sich vor "Zigeunerkriminalität", nur etwa 5 bis 7 Prozent glauben, dass extremistische Organisationen eine Gefahr darstellen.
Tamás Sz. ist Automechaniker, ein bulliger Typ mit kahl geschorenem Schädel, seine Frau Tímea Angestellte bei den Stadtwerken. Sie ist zutiefst verbittert und redet sich in Rage. Schuld an der Krise seien die amerikanischen Banken und die Juden, sagt sie. Jeden Tag sehe sie, wie kleine Firmen pleitegingen, während sich die ungarischen Politiker bereicherten. Dann zieht sie plötzlich über Roma her. "Sie können nicht lesen und schreiben, aber sie haben einen Führerschein und holen ihre Sozialhilfe im Mercedes ab", sagt sie mit wütendem Gesicht, ihr Mann nickt dazu. "Man sollte diese arbeitsscheuen Zigeuner ins KZ zur Zwangsarbeit schicken."
Verbitterung und Hass: Im Ungarn dieser Tage sind sie so verbreitet wie nie zuvor in den letzten Jahrzehnten. Viele verzweifeln an wirtschaftlichen Schwierigkeiten, viele denken ähnlich wie die Eheleute Sz.
Einst galt Ungarn als die "lustigste Baracke" im Ostblock, nach dem Ende der Diktatur als Musterland in Osteuropa. Jetzt ist es an einem Tiefpunkt seiner postkommunistischen Geschichte angelangt. Die politische Elite genießt kaum noch Vertrauen, der Staat steht vor der Pleite, Rechtsextreme erstarken, und rechtsterroristische Gewalt gegen Roma ist nahezu alltäglich.
In den letzten anderthalb Jahren wurden acht Roma ermordet, Ende Februar zwei auf besonders hinterhältige Weise: In Tatárszentgyörgy südlich von Budapest zündeten Unbekannte das Haus einer Roma-Familie an. Als der 27-jährige Familienvater mit seinem 4-jährigen Sohn aus den Flammen flüchtete, erschoss einer der Täter die beiden mit einer Schrotflinte.
Der Philosoph und frühere antikommunistische Bürgerrechtler Gáspár Miklós Tamás, 60, stellt eine düstere Diagnose: "Das Eis der Zivilisation ist in Ungarn dünn. Es bricht gerade ein."
Vorausgegangen sind dem fast zwei Jahrzehnte verfehlte Wirtschaftspolitik und innenpolitische Dauerkrise: Ungarn hat einen riesigen Schuldenberg angehäuft. In den letzten Jahren haben sich mehrere sozialistisch-liberale Regierungen als unfähig erwiesen, die tiefen Strukturprobleme im Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitswesen zu lösen. Die Nationalkonservativen des Bundes Junger Demokraten, derzeit in der Opposition, vergiften die öffentliche Stimmung schon seit Mitte der Neunzigerjahre mit ultrarechter Rhetorik. Gleichzeitig machen Politiker aller Parteien durch Korruptionsaffären von sich reden. Hinzu kommt nun die globale Finanzkrise: Einen Staatsbankrott konnte Ungarn nur durch Notkredite von EU, IWF und Weltbank abwenden.
Ein Klima, wie geschaffen für den Aufstieg der Rechtsextremen. Die Partei Jobbik, "Bewegung für ein besseres und rechteres Ungarn", die mit Abstand stärkste Rechtsaußenkraft, hat vor allem in den letzten Monaten viele kommunale Wahlerfolge erzielt, im Schnitt kam sie auf 10 Prozent. Anfang Juni will die Partei nun ins Europaparlament einziehen, im nächsten Jahr ins ungarische Parlament.
"Ungarn den Ungarn!" lautet das Motto von Jobbik. Ihre Werbespots zeigen eine Faust, die auf den Tisch haut. Dazu zackige Worte: "Verbrecher ins Gefängnis! Ordnung, Ruhe, Wachsamkeit!" Die Partei ist gegen die "liberale Lahme-Enten-Demokratie", gegen die "Vormacht multinationaler Konzerne", gegen "die Leere der Konsumgesellschaft" und für einen "starken, christlichen Staat" aus einem "nationalen Netz lebensstarker kleiner Gemeinschaften".
Es sind keine randständigen Existenzen, die mit solchen Parolen hausieren gehen. Die Mitglieder der Jobbik-Parteielite stammen aus dem Bürgertum, sie sind Lehrer, Ingenieure, Juristen, Beamte oder Studenten, sie pflegen das Image sauberer, unverbrauchter Patrioten. Sie sind Vertreter eines "von hysterischer Absturzangst und Moralpanik erfassten Mittelstandes", wie Gáspár Miklós Tamás sagt.
Budapest an einem Frühlingsnachmittag, eine Jobbik-Wahlkampfveranstaltung am Rande des Parlamentsplatzes. Es spricht Krisztina Morvai, die Jobbik-Spitzenkandidatin für das Europaparlament. Die 46-Jährige ist eine smarte, dauerlächelnde Juristin, dreifache Mutter, sie lehrt Strafrecht an der Budapester Universität. In ihrer Rede spricht sie von "unsereins" und "ihresgleichen". Letztere sind im suggestiv-verklausulierten Duktus der modernen ungarischen Antisemiten die Juden. "Ihresgleichen Zeit ist abgelaufen", ruft Morvai unter tosendem Beifall.
Eine "lebensstarke Gemeinschaft" marschiert auf: zweihundert Uniformierte, schwarze Hosen und Westen, weißes Hemd, perfekt eingeübter Gleichschritt. Auf Befehl des Kommandanten halten sie an. "Ungarische Garde, gebs Gott!", schreit er heiser. "Schöne Zukunft!", brüllen die Gardisten zurück.
Die Ungarische Garde, gegründet im August 2007 von Jobbik-Chef Gábor Vona, ist ein paramilitärischer Trupp schwarz uniformierter Möchtegernordnungshüter. Ganz im Gegensatz zur Jobbik-Elite kommen die Gardemitglieder vor allem aus der Schicht der Armen und wenig Gebildeten. Die Gesellschaft hat immer weniger Verwendung für sie. Die Garde bietet ihnen zwar keine Perspektive, aber immerhin eine Rolle. Nahezu täglich marschieren Einheiten der schwarz Uniformierten irgendwo in Städten und Gemeinden auf, sorgen angeblich für mehr öffentliche Sicherheit und weniger "Zigeunerkriminalität".
Das ist nur die sichtbarste Seite einer regelrechten Blockwartmanie im Land. Außer der Garde gibt es zahlreiche lokale und nationale Not-, Volks- und Bürgerwehren, neben den Ortsschildern vieler Gemeinden und Städte ist zu lesen: "Hier arbeitet eine Bürgerwache." Die haben den Status einer Art freiwilligen kommunalen Polizei. Bürgerwächter zu sein ist ein Ehrenamt, man zahlt Vereinsbeiträge und darf dafür zusammen mit örtlichen Polizisten Streifendienst leisten. Jüngst legte die sozialistisch-liberale Regierungskoalition einen Gesetzentwurf vor, nach dem Bürgerwachen ihre Mitglieder mit Gummiknüppeln und Tränengasspray ausrüsten dürfen.
Von einer starken Bürgerwache träumen auch die älteren, gut gekleideten Herren in einem Villenvorort der westungarischen Stadt Székesfehérvár. Sie scharwenzeln um den jungen Mann mit den unschuldigen braunen Augen und dem Haifischlächeln herum. Sie haben begeistert geklatscht zu seinem Vortrag, zu dem Journalisten nicht zugelassen waren, nun verabschieden sie den "Herrn Vorsitzenden" devot.
Die älteren Herren sind führende Unternehmer aus der Region. Der junge Mann ist Gábor Vona, 30, der Jobbik- und Garde-Chef.
Er hat sich und seine Partei präsentiert, jetzt blickt er unsicher auf die dienernden Herren und scheint selbst überrascht, wie gut er in den besseren Kreisen ankommt. Immerhin, klagt er, werde er ja in den "liberalen Vaterlandsverrätermedien" ständig als "Nazi, Faschist und Extremist beschimpft", dabei sei er ein "Nationalradikaler".
Vona ist eigentlich Geschichtslehrer, arbeitet aber als Produktmanager für Sicherheitstechnik. Überall in und um Ungarn wittert er Kriminelle, die das Land zerstören wollen. "Die öffentliche Empörung wächst", sagt Vona, "man will, dass endlich jemand Ordnung schafft; deshalb erhalten wir immer mehr Unterstützung."
Jenö Radetzky hat Vonas Vortrag mit stillschweigendem Wohlwollen angehört. Der 62-jährige Unternehmer und Chef der örtlichen Industrie- und Handelskammer hütet sich vor eindeutigen Positionen. Er sei gegen Gewalt, aber man müsse den Hintergrund verstehen. "Der Staat schützt seine Bürger und Unternehmer nicht mehr. Ständig wird in Firmen eingebrochen, auch in meine. Da kommt irgendwann dieser Selbstschutzreflex."
Ist die Hinrichtung kleiner Kinder Teil dieses Reflexes? Radetzky zuckt die Schultern. "Seit es die Garde gibt, konnte man nicht in einem einzigen Fall beweisen, dass sie irgendetwas mit Gewalt zu tun hatte."
Tamás Sz. wäre selbst gern in die Garde eingetreten. "Meine Frau hat es nicht erlaubt", sagt er. "Die Garde ist das Einzige, wovor die Zigeuner Angst haben. Aber Tamás ist ein aufbrausender Mensch. Ich will nicht, dass er gewalttätig wird und Probleme mit der Polizei bekommt. Wir haben Familie und müssen an unsere Kinder denken", sagt Tímea Sz.
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