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Ersatz-FDP für die 90er

■ betr.: „Reformwille und Realitäts sinn“, taz vom 26.2.94

„Die Bereitschaft zum Tausch von Konsum gegen freie Zeit“, also Arbeitszeitverkürzung und Einkommensverzicht, propagiert Senator Fücks für die Bezieher von „mittleren und höheren Einkommen“, und darin werden er und andere Minister ihnen sicherlich mit gutem Beispiel vorangehen. Diese wie jene können ohnehin beruhigt sein, weil von solchem Solidaritätsmodell jetzt schon andere betroffen sind: Arbeiter in ostdeutschen Betrieben zum Beispiel oder bei VW, die es sich schon überlegen werden, ob sie lieber kürzer und schneller für weniger Geld arbeiten oder der „Umverteilung der Erwerbsarbeit“ zum Opfer fallen wollen.

Um solcherart „die Weichen in Richtung ... soziale Solidarität“ stellen zu können, stellt der senatorische Weichensteller denn auch kurzerhand die von ihm so genannten „Lohnnebenkosten“ zur Disposition, wobei der Begriff unterschlägt, daß es dabei um die Lebenserhaltungskosten für die Lohnabhängigen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter geht, Kosten, die sie ohnehin schon zum großen Teil selbst aufbringen müssen. Das Ganze soll einem effektiven Beschäftigungsprogramm für – nein, nicht Arbeitslose, sondern – Kleinunternehmen dienen. „Dafür lohnt es sich zu kämpfen.“ (Dieser Kampf muß vermutlich gegen die großen Konzerne mit ihrem unstillbaren Drang nach beständiger Erhöhung der Lohnnebenkosten geführt werden.)

Dem Herrn Senator mit der „Kompetenz und Erfahrung, die wir in den Kommunen und Ländern gesammelt haben“, kommen solche Überlegungen, welche die wesentlichen sozialen Differenzierungen und Widersprüche berücksichtigen, allerdings nicht in den Sinn. Sein Blick zielt aufs Ganze, aufs Nationale. So warnt er vor jedem, „der die Krise (nicht etwa: die Rede von der Krise, H.E.) des ,Standorts Deutschland‘ nur für eine raffinierte Täuschung der Öffentlichkeit hält, um endlich den Sozialstaat einzureißen“. Die Krise ist nämlich nicht eine des Kapitals oder gar des Kapitalismus, nein, die Krise ist unsere gemeinsame nationale: ökonomisch, finanziell und psychologisch. Da müssen wir uns natürlich auch – entgegen Illusionen von „zivilen Strukturen kollektiver Sicherheit und friedenserhaltenden Maßnahmen der UNO (Volmer)“ auf „neue Strukturen militärischer Sicherheit“ besinnen. Gegen wen? Nun, der Feind steht im Osten, im „russischen Reich“ (!)

Daß solche Überlegungen nur mit Rücksicht auf die SPD angestellt würden, dagegen wehrt sich Fücks zu Recht. Hier empfiehlt sich ganz realpolitisch die Ersatz- FDP für die 90er auch der CDU als potentieller Bündnispartner. Heinrich Ebbers, Bremen

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