: Erotik aus Pappe
■ Mathias & Nathalie bei Marc & Bengels
Schwule geben durchschnittlich mehr Geld für ihre Unterhosen aus als Heteros, fand mal ein Schwulenmagazin im Sommerloch heraus. Doch bei »Marc & Bengels«, Berlins Unterhosenshop für Männer, geben sich auch Frauen die Klinke in die Hand. Und zwar immer dann, wenn sie dem C&A-Baumwollripp ihres Geliebten keine Erotik mehr zugestehen können. Oben im Laden finden sie eine nette Auswahl an Slips, unten im Keller ist die Umkleidekabine — und seit neustem auch eine kleine Galerie. »Geschichten aus Karton«, eine Ausstellung der Pariser Künstler Nathalie und Mathias, sind dort seit Anfang Mai zu sehen.
Mathias und Nathalies Materialien kennt man aus der Grundschule — Pappe, Klebe und Farbe — dennoch wirken ihre phantasievollen Skulpturen und Bilder ausgesprochen ausgereift. Mathias formt und Nathalie bemalt sie. Selbst die Rahmen der Lithographien, die Haarsträhnen der Figuren, ein Becher mitsamt Kaffee in ihrer Hand und das Gästebuch sind liebevoll verzierte Kunstwerke aus Karton. Sie sind eingepaßt in eine nostalgische Umgebung. Der Keller ist in coolem Blau und teurem Gold gehalten und wird musikalisch von französischen Chansons und der englischen Version von Mecky Messer durchspült.
Die menschlichen Grundbedürfnisse modellieren Mathias und Nathalie neu: das Denken, die Liebe und den Appetit. Sie formen Gehirn, Herz und Darm in ihre Bilder und Figuren hinein. Der Betrachter guckt in ihr Inneres und erblaßt über die eindeutige Aussage. Nicht nur beim »verletzten Geliebten«, dem ganz offensichtlich die Rippen herausgebrochen wurden und die Eingeweide bloßliegen.
Alle Männerfiguren haben ein langes kantiges Gesicht mit einer langen Nase und einem langen Hals. Sie erinnern in ihrer Ungeschliffenheit an die rauhe Welt der Seemänner und wirken dennoch so sinnlich, als hätten sie Sehnsucht nach der Liebe oder dem Meer. Die Figuren stehen so lässig im Raum wie Männer in einer Disco. Geht man an ihnen vorüber, möchte man mit ihnen flirten. Doch sie bleiben cool und gucken nicht mal ein kleines Sekündchen lang zurück.
Männer aus Karton sind jedoch nicht die einzigen, die man im Keller von »Marc & Bengels« begutachten kann. Hinter dem Vorhang der Umkleidekabine läßt sich auch manch lebendiger Kerl bewundern, der alles andere als von Pappe ist. Den günstigen Lichtverhältnissen ist es zu verdanken, daß man hinter der Stoffgardine auch seine kleinen Details erkennt. Der Wunsch nach näherer Bekanntschaft drängt sich bei dem einen oder anderen ohne weiteres auf. »Am Morgen danach« heißt da wohl nicht zufällig auch die schönste Kartonfigur, die oben im Schaufenster des Slipshops einen Platz gefunden hat: Ein smarter, lächelnder Kerl mit Kippe und Andechs-Bier in der Hand — selbstverständlich in Unterhose. Die Geschichten aus Karton sind noch bis zum 15. Juni, montags bis freitags 12-18 Uhr, samstags 10-14 Uhr zu sehen, bei Marc & Bengels, Grunewaldstr. 92 in Schöneberg. Micha Schulze
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