Erörterungstermin zur Atomfabrik Lingen: Kritische Masse
In Lingen hat der Erörterungstermin zum Einstieg der russischen Firma Rosatom in die Brennelementefabrik begonnen. Rund 11.000 Einwendungen gab es.
![Demonstranten mit einer übergroßen Putin-Puppe vor der Emslandhalle in Lingen. Demonstranten mit einer übergroßen Putin-Puppe vor der Emslandhalle in Lingen.](https://taz.de/picture/7366903/14/imago780588245-1.jpeg)
Schon vor der Halle stehen sich am Mittwochmorgen die beiden Lager gegenüber: Auf der einen Seite Atomkraftgegner mit einem riesigen Pappmaché-Putin und Klampfe. Auf der anderen Seite mehr als 50 ANF-Mitarbeiter, leicht erkennbar an den Stickern mit der Aufschrift „Proud to be Framatome“ auf ihrer Kleidung. Damit ist auch schon der Ton gesetzt für das,was dann in der Halle passiert.
Gerade einmal fünf Kilometer vom Versammlungsort entfernt produziert die Firma Advanced Nuclear Fuels (ANF), eine Tochter des französischen Konzerns Framatome, Brennstäbe. Sie möchte das künftig auch für Reaktoren russischer Bauart tun, um den osteuropäischen Markt, aber auch Finnland bedienen zu können.
Dazu hat man eigens ein Joint Venture mit einer Tochterfirma des russischen Staatskonzerns Rosatom gegründet. Russische Ingenieure sollen helfen, in Lingen eine Lizenzproduktion auf die Beine zu stellen. Parallel dazu arbeitet ANF nach eigenem Bekunden an einem eigenen Design für hexagonale Brennstäbe, wie sie in den Kraftwerken russischer Bauart verwendet werden.
Umweltinis fühlen sich überwacht
Die beiden Lager, die sich vor der Halle gegenüberstehen, treffen sich auch in der Halle. Vertreter der Umweltinitiativen beklagen sich, dass sie sich eingekesselt und überwacht fühlen. Tatsächlich hat die Versammlungsleitung zahlreiche Mitarbeiter als Zuschauer zugelassen, obwohl das Verfahren eigentlich nicht uneingeschränkt öffentlich ist. Auch aus der Führungsriege der Firma ANF haben Mitglieder Platz genommen.
Die Einwender haben nicht so stark mobilisiert. Von rund 7.000 Einzelpersonen und Institutionen, die Einwendungen eingereicht haben, spricht das Umweltministerium. Auf die hohe Zahl von 11.000 kommt man durch zahlreiche Sammeleinwendungen. Mit bis zu 1.200 anzuhörenden Einwendern, die sich am Ende tatsächlich auf den Weg nach Lingen machen, hat das Umweltministerium vorsichtshalber gerechnet. Es sind dann aber doch deutlich weniger, 143 werden bei den Eingangskontrollen gezählt.
Die Einwender fühlen sich also etwas umstellt und in der Unterzahl, sie kritisieren außerdem, dass der ANF-Delegation ein Besprechungsraum zur Verfügung gestellt wurde, den Umweltinitiativen aber nicht. Es entspinnen sich eine Reihe von Gefechten um die Tagesordnung und Fragen der Befangenheit. Es dauert, bis man zu den inhaltlichen Fragen kommt, bei denen es wirklich spannend wird.
Eigentlich hatte das Umweltministerium eine Tagesordnung geplant, bei der zunächst ANF seinen Antrag begründet und dann einzelne Aspekte und Bedenken – von der Sicherheitspolitik über die Außenwirtschaft bis hin zur Produktionssicherheit und Umweltfolgen – durchdiskutiert werden sollten.
ANF-Vertreter versuchen, sich vor Antworten zu drücken
Die Versammlungsleitung hat dann allerdings Mühe, diese Struktur auch durchzusetzen, weil bereits in den Nachfragen zum Vortrag der ANF alle Aspekte munter durcheinandergewürfelt werden. Das reicht von grundsätzlichen Bedenken zur Atomkraft über Fragen nach technischen Details bis hin zur Geschäftspolitik des Konzerns.
Bemerkenswert ist vor allem, wo die ANF-Vertreter versuchen, sich vor Antworten zu drücken. Das betrifft zum einen die Frage, wann und wie diese Kooperation mit Rosatom überhaupt zustande gekommen ist. ANF argumentiert gern, gerade der Ukraine-Krieg habe ja die Notwendigkeit bewiesen, sich von russischen Lieferungen unabhängig zu machen – das beträfe vor allem die 19 Reaktoren russischer Bauart, die in Finnland, Bulgarien, Tschechien und der Slowakei stünden.
Fraglich bleibt allerdings, welches Interesse Rosatom denn daran hätte. Gegner des Projektes vermuten, dass Rosatom sich auf diese Art und Weise eher den Zugriff auf den wegbrechenden osteuropäischen Markt sichern möchte – oder sich schon einmal auf eine Ausweitung der Sanktionen vorbereitet. Auf Nachfragen räumt ANF allerdings auch ein, dass die Pläne schon vor dem Angriffskrieg entstanden, weil es entsprechende Nachfragen von Kunden aus Osteuropa gab.
Nicht beantworten möchte man an diesem ersten Tag des Erörterungstermins auch die Frage, ob Alternativen zur Kooperation mit Rosatom geprüft wurden. Immerhin liefert der US-amerikanische Konzern Westinghouse schon länger hexagonale Brennelemente. Zu strategischen Entscheidungen des Mutterkonzerns könne er aber leider keine Auskunft geben, sagt der ANF-Vertreter.
Auch die Kritik daran, dass das Unternehmen ANF mit der Einrichtung einer Testanlage in einer Möbelhalle im Gewerbegebiet praktisch schon Fakten geschaffen hatte, bleibt ein großes Thema. Immerhin hat man dazu russische Ingenieure anreisen lassen.
Sorge vor russischer Sabotage
Die ANF zieht sich in diesem Fall darauf zurück, dass man den russischen Fachkräften zu keinem Zeitpunkt Zugang zum Werksgelände verschafft habe. Man habe angesichts des langen Genehmigungsverfahrens eben versucht, sich auf eine mögliche Genehmigung vorzubereiten. Was mit den Maschinen geschehen solle, wenn die Genehmigung versagt werde, müssten die Joint-Venture-Partner eben dann entscheiden.
Immer wieder kreisen die Fragen in der Emslandhalle darum, weil sich für viele hier genau daran erhebliche Sicherheitsbedenken anschließen und sie die Lingener Fabrik als Einfallstor für russische Spionage und Sabotageakte betrachten. Ähnliche Bedenken hatte auch Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) immer wieder geäußert.
Dieses Kreisen zieht sich am Ende allerdings so lange hin, dass man schon für die ersten beiden Tagesordnungspunkte fünf Stunden braucht. Aber immerhin hat das Umweltministerium die Emslandhallen für zwei weitere Tage gemietet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche