Eröffnung Klangkunstzentrum Leipzig: Sound aus allen Richtungen
Das Zentrum für immersive Medienkunst, Musik und Technologie in Leipzig öffnet seine Türen. Es widmet sich der dreidimensionalen Klangkunst.
Unter der 6 Meter hohen Sichtbetondecke hängen 32 Lautsprecher zwischen dunkelgrünen Stahlträgern. Sie bilden eine Kuppel und sind das Herz des neu gegründeten Zentrums für immersive Medienkunst, Musik und Technologie – kurz ZIMMT – in Leipzig, das eine alte Kranhalle im Osten der Stadt neu belebt und heute Abend mit dem Festival „Immersive Sound“ eröffnet.
Die aufwendige Lautsprecherkonstruktion bildet ein dreidimensionales Audiosystem und ermöglicht eine Klangwiedergabe, die natürlichen Hörerlebnissen extrem nahekommt. „Im Gegensatz zu Stereo oder Dolby Surround 5.1. gibt es bei uns ein Oben und ein Unten. Durch die Lautsprecheranordnung entsteht Dreidimensionalität, weil alle Richtungen vorhanden sind“, erklärt Jason Langheim. Er ist Teil des Kollektivs ZIMMT, Klangkünstler und Künstlerischer Mitarbeiter der Professur Experimentelles Radio an der Bauhaus-Universität Weimar.
Das ZIMMT will in Leipzig einen Ort für die Produktion und Aufführung immersiver und virtueller Künste und von 3-D-Audio etablieren, um Kunst und Wissenschaft forschend zu verbinden und die bis dato eher selten verfügbare 3-D-Audiotechnik für Künstler:Innen und die Öffentlichkeit zugänglich machen.
Umgenutzte Halle
Die Halle befindet sich im Kontor 80, dem umgenutzten Gelände einer ehemaligen Kugellagerfabrik, zwischen dem Coworking Space „Glow für Frauen*“ und dem 3-D-Tonstudio „Not a Number“ von Felix Deufel. Soundkünstler Deufel hatte Anfang 2020 auch die Idee für das ZIMMT. Bald entstand ein siebenköpfiges Kollektiv, das die große Halle gemeinsam ausbaute. Um teure Brandschutzmaßnahmen zu finanzieren, läuft momentan noch eine Crowdfunding-Kampagne.
Programm und Kontakt:
ZIMMT Leipzig: https://zimmt.net/de
Das Prinzip der Immersion wird oft mit virtuellen Medien wie Computerspielen verbunden. Wörtlich bedeutet Immersion „eintauchen“ und beschreibt Künste, die erlebt statt betrachtet werden wollen. 3-D-Audiotechnik unterstützt das Eintauchen in Klangwelten: „Der Moment der Immersion fällt vielleicht leichter, weil man sich durch den 3-D-Sound nicht abwenden kann, und man ganz körperlich schon eingesogen wird“, beschreibt Langheim.
Mitten in der Coronapandemie eröffnet das ZIMMT mit dem virtuellen Festival „Immersive Sound. Forum für 3-D-Audio“, das von heute bis zum 18. April läuft. Für das Programm wurde eine eigene Website gestaltet. Das Festival vereint Workshops und eine Konferenz mit kostenlosen Konzerten internationaler KünstlerInnen, die mit dreidimensionalem Klang arbeiten.
Schnittstelle verschiedener Szenen
Die britische Elektroakustik-Komponistin Natasha Barett, Koryphäe auf dem Gebiet der dreidimensionalen E-Musik, wird ebenso auftreten wie der Berliner Künstler Robert Lippok, der seine musikalische Karriere in den 1980er Jahren noch in der DDR mit der Experimentalband Ornament & Verbrechen mit Synthies und selbstgebauten Instrumenten begann. Dass KünstlerInnen aus Hochkultur und Subkultur gemeinsam auftreten, ist exemplarisch für die programmatische Ausrichtung des ZIMMT als Schnittstelle verschiedener Szenen.
Auch wenn alles dadurch komplizierter geworden ist, empfindet das Kollektiv die pandemiebedingte Online-Eröffnung nicht als Defizit, immerhin will das ZIMMT eine Plattform für virtuelle Künste bieten. Dass die Konzerte trotzdem in der Halle stattfinden, die das ZIMMT im Kern ausmacht, ist den Betreiber:Innen wichtig. „Das Haptische, Reale fügt dem Virtuellen immer etwas hinzu, weil das Virtuelle nicht existieren kann ohne das Reale. Der Raum ist die Verbindung“, sagt Langheim. „Unser Forschungsthema ist gerade, Kunst, die so krass auf diesen Raum bezogen ist, auch über das Internet zu vermitteln.“
Ein Kunstkopf – ein Plastikkopf mit Mikrofonen in den Ohrmuscheln, der seit den 1970er Jahren eine gängige Technik für räumliche Tonaufnahmen verwendet wird – wird die Konzerte in der Halle aufnehmen. Samt einem 360-Grad-Kamerabild werden sie dann gestreamt. Als klar wurde, dass Natasha Barett nicht ohne Quarantäne aus Oslo würde einreisen können, vermaß das Kollektiv die Halle akustisch und schickte die Daten an Barett, die ihre Stücke nun so bearbeitet, dass sie dieselben Klangeigenschaften wie die Halle haben.
So bald wie möglich soll es im ZIMMT Veranstaltungen mit Publikum geben. Jenseits derzeitiger Kontaktbeschränkungen interessiert sich das Kollektiv für virtuelle Events, die technische Umsetzung sieht man als Teil der Immersion: „Ein Ziel ist, dass das Publikum vor dem Rechner den Kopf neigen kann und sich so das Hören verändert, als würden die Zuhörer:Innen den Kopf im Raum drehen“, sagt Langheim. Er ist überzeugt, dass auf diese Weise interaktive Konzerterlebnisse bald umgesetzt werden können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste