: Ernsthafter Bruch
Jugoslawien zerfällt, wenn Milosevic nicht stürzt ■ K O M M E N T A R
Vielleicht ist es nicht abwegig, wenn der bekannte slowenische Oppositionelle Tomaz Mastnak von einem Jugoslawien spricht, das von der Landkarte Europas zu verschwinden droht. Denn wer blickt aus dem westlichen und östlichen Ausland - nach den Revolutionen von Leipzig bis Bukarest - heute noch auf das Land, das einst unter seinem Nachkriegsführer Tito der Sowjetunion Stalins trotzte? Die Sympathien, die Jugoslawien mit seinem (nie verwirklichten) Selbstverwaltungsmodell einmal hatte, sind spätestens verflogen, als sich vor drei Jahren der serbische Parteichef Slobodan Milosevic durchzusetzen begann. Milosevic, der mit seinem nationalbolschewistischen Kurs und seinen chauvinistischen Kampagnen gegen die Albaner im Kosovo und Slowenien zwar die Mehrheit der Serben für seine großserbischen Ziele gewinnen konnte, hat den Bestand des Staates Jugoslawien jedoch ernsthaft in Frage gestellt. Wie sollte auch die Gemeinschaft eines Vielvölkerstaates noch funktionieren, wenn die serbischen Behörden die Albaner im Kosovo zu zweitklassigen Staatsbürgern degradieren und einen Wirtschaftsboykott gegen Slowenien verhängen? Selbst die alle jugoslawischen Republiken drückenden Wirtschaftsprobleme mit einer Inflationsrate von über 2.000 Prozent können nicht bewältigt werden, weil die Bundesregierung angesichts der Kämpfe zwischen den Republiken über keinen Handlungsspielraum mehr verfügt. Und da seit dem Sonderparteitag des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens auch noch die letzten Träume für eine gemeinsame Demokratisierung an der unnachgiebigen Haltung des serbischen Führers verflogen sind, ist jetzt die letzte Klammer zwischen slowenischen Kommunisten - die kosovoalbanische KP-Führung sitzt im Gefängnis - und der Gesamtpartei zerbrochen. Den slowenischen Kommunisten, die immer wieder die unvollständig gebliebenen Reformen gegenüber der demokratischen Opposition im eigenen Land mit dem Druck aus Belgrad entschuldigten, bleibt jetzt keine andere Alternative, als ernsthaft gegen Milosevic vorzugehen.
Wenn jetzt die slowenische Regierung das Parlament der Republik darüber abstimmen lassen will, ob Slowenien weiterhin die Institutionen des Bundesstaates finanzieren wird, nimmt sie den Fehdehandschuh auch um den Preis einer Spaltung Jugoslawiens auf. Denn schließlich bezahlt die kleinste Republik den größten Batzen für den jugoslawischen Staatshaushalt. Und da die Bundesregierung die slowenische Position jetzt nicht mehr ignorieren kann und auch aus außenpolitischen Gründen - schließlich wurde die Währung an das westeuropäische System angeschlossen - auf Europa setzen muß, geht in Jugoslawien nichts mehr ohne die Öffnung des Systems. Der politische Wind hat sich gegen Milosevic gedreht. Die Massenbewegung im Kosovo ist dafür ein äußerlich sichtbares Zeichen. Doch noch immer hängt der Sturz von Milosevic von einer demokratischen Volksbewegung in Serbien selbst ab. Und die ist nicht in Sicht.
Erich Rathfelder
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