Erneut Atomstörfall in Frankreich: Unzulänglichkeiten bei Areva
Zehn Tage nach dem Unfall in Tricastin gibt es wieder einen Störfall in einer Firma des Unternehmens Areva. Durch einen Rohrbruch ist Uranabfall in den Boden gelangt.
PARIS taz Zehn Tage nach dem Unfall in der Atomanlage von Tricastin bei Avignon ist in Frankreich erneut ein Störfall in einer anderen Fabrik des Atomkonzerns Areva bekannt geworden: In der FBFC-Fabrik in Romans-sur-Isère, die nukleare Brennstoffe für Atomkraftwerke herstellt, sind durch einen Bruch in einem unterirdisch verlegten Rohr mehrere hundert Gramm Uranabfall in den Boden geraten. Der Rohrschaden wurde am Donnerstag entdeckt, existiert aber offenbar schon lange. Der Kommentar der Sprecherin der Reaktoraufsichtsbehörde ANS, Evangelia Petit, klingt wie bei anderen atomaren Störfällen: "Keine Gefahr für Mensch und Umwelt."
Dennoch kommt Bewegung in den Atomstaat Frankreich. So kündigte Umweltminister Jean-Louis Borloo am Freitagmittag an, bis zum Herbst werde die komplette Reaktorsicherheit in Frankreich überprüft. Was das genau bedeutet, blieb zunächst unklar. Auch der Atomkonzern Areva zeigt sich in diesen Tagen ungewöhnlich selbstkritisch: Ein interner Untersuchungsbericht über die Vorfälle in Tricastin stellt fest, dass es dort "Fehler" und "Unzulänglichkeiten" gegeben habe. Als Konsequenz ist jetzt ein erster Kopf gerollt. Der Direktor der Areva-Filiale "Socatri", bei der in der Nacht zum 8. Juli mindestens 74 Kilogramm Uran in die benachbarten Flüsse sickerten, wurde entlassen.
In den drei Nachbargemeinden rund um Tricastin war das Baden, Angeln sowie der Konsum des Grundwassers (zum Trinken und zur Bewässerung), am Freitag weiterhin verboten. Nachdem auf einer der Fabriken in der großen Atomanlage in der Nacht zum 8. Juli eine Flüssigkeit mit Uran aus einem undichten Fass ohne Auffangbecken ausgelaufen war, hatten Messungen in den benachbarten Flüssen und Oberflächengewässern zunächst einen stark erhöhten Urangehalt ergeben. Inzwischen ist der Urangehalt in den Rhônezuflüssen wieder zurückgegangen.
Jetzt konzentrieren sich die Nachforschungen auf das Grundwasser. In mehreren Brunnen in der Nähe von Tricastin sind die Uranwerte erhöht. So maß die "Socatri" bei einer Wasserprobe aus dem Brunnen der Bauernfamilie Eymard in der Nachbargemeinde Bollène am Mittwoch dieser Woche 16,5 Mikrogramm Uran pro Liter Wasser. Bäuerin Sylvie Eymard, die seit 20 Jahren das Wasser aus dem Brunnen trinkt und damit ihre Felder von Basilikum, Thymian, Dill bewässert, sagt jetzt, dass sie sich Sorgen um ihre beiden kleinen Kinder mache. Ein Teil der Gewürzkräuterernte in diesem Jahr ist verdorrt, weil die Eymards ihre Felder seit dem Atomunfall nicht mehr bewässern dürfen. Sie hoffen jetzt auf Entschädigungszahlungen von Areva.
Woher das Uran im Grundwasser kommt, ist völlig unklar. Das unabhängige Forschungslabor CRIIRAD hat bereits vor dem letzten Atomunfall in Tricastin veröffentlichte, dass bei einem anderen Betreiber auf derselben Atomanlage mehr als 700 Tonnen radioaktive Militärabfälle seit Jahrzehnten unter einem Erdhaufen gelagert sind. Die CRIIRAD vermutet, dass die Grundwasserbelastung daher rühren könnte.
Areva-Chefin Anne Lauvergeon reiste am Freitagnachmittag nach Tricastin. Umweltminister Borloo hatte sie dazu aufgefordert. Als Reaktion auf die Häufung von Störfällen in französischen Atomanlagen verlangt der Minister wörtlich: "Transparenz, Transparenz, Transparenz". Er hat außerdem angekündigt, dass er das Grundwasser rund um sämtliche französischen Atomkraftwerke auf Strahlenbelastungen untersuchen lassen will.
Das atomkritische Netzwerk "Sortir du Nucléaire" lobt den ministeriellen Entschluss. Und verlangt zugleich, dass die Wassertests auch auf die Umgebung der anderen französischen Atomanlagen ausgedehnt werden. Darunter die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague, wo unter anderem auch deutscher Atommüll angereichert wird, und die militärischen Atomanlagen. Vor einer Versammlung von örtlichen PolitikerInnen und ReaktorkontrolleurInnen und VertreterInnen der Areva, die am Freitag in der Stadt Valence unweit der Atomanlage von Tricastin stattfand, schimpften AnwohnerInnen, sie fühlten sich behandelt wie "Bürger zweiter Klasse".
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