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Ermordete Europäer in ÄthiopienUnter dem Vulkan

Sie bereisten eine äthiopische Salzwüste, Unbekannte schossen ihnen in den Kopf. Wie der Mord auf europäische Reisende in der Afar-Wüste ablief - und was er auslöst.

Die Vulkanregion Erta Ale in Äthiopien. Bild: dpa

MEKELLE taz | Es gab kein Licht außer dem Mond. Die europäischen Reisenden hatten einen Mitternachtsabstieg vom Vulkan Erta Ale absolviert und schliefen; ein weiterer Aufstieg bei Sonnenaufgang am 17. Januar war geplant.

Um etwa vier Uhr morgens wurden sie angegriffen: zuerst die deutschen Touristen, dann eine ungarische Forschergruppe im Nachbarcamp, die von den Schießgeräuschen vom Camp der Deutschen aufwachte. Einer der überlebenden ungarischen Forscher schildert, wie es in seinem Camp weiterging: Die Europäer wurden aufgefordert, aus ihren Hütten zu kommen.

Die Angreifer schossen dann sofort auf die Hütten, und die fünf, die herausgekommen waren, wurden aufgefordert, sich in eine Reihe zu stellen. Die Angreifer begannen, ihnen einem nach dem anderen direkt in den Kopf zu schießen. Zwei starben sofort, drei konnten fliehen. Sie fielen im Dunkeln in eine Vertiefung, weshalb sie entkamen.

Nach dem Überfall

Entgegen den bisherigen Medienberichten handelt es sich bei den Opfern des blutigen Überfalls in der Nacht zum 17. Januar nicht um eine, sondern um zwei Gruppen von Reisenden. Neben den in der Mehrzahl deutschen Touristen war eine ungarische Forschergruppe von der Universität Széged unterwegs. Diese bestand ursprünglich aus sieben Geologen und Biologen; zwei Geologen waren bereits nach Ägypten abgereist, nur fünf fuhren zum Erta Ale. Davon wurden zwei getötet.

Im deutschen Lager wurden drei Menschen getötet: zwei Deutsche und ein Österreicher. Bei den beiden deutschen Todesopfern handelt es sich um einen 74-jährigen Mann aus Schleswig-Holstein und einen 58-Jährigen aus Cottbus. Zwei aus der Gruppe wurden verletzt, davon einer schwer; außerdem wurden ein äthiopischer Wachmann, ein äthiopischer Fahrer und zwei Deutsche entführt. Die Verletzten liegen mittlerweile in Addis Abeba im Krankenhaus. Von den zwei Deutschen, die bei dem tödlichen Überfall verschleppt wurden, fehlt weiterhin jede Spur.

Dies erklärte das Auswärtige Amt in Berlin am Freitag. "Der Aufenthalt der beiden vermissten Deutschen ist weiter unbekannt", sagte ein Sprecher. "Es gibt Berichte, dass sie inzwischen in Eritrea sind", hatte zuvor der Sprecher des äthiopischen Außenministeriums, Dina Mufti, in Addis Abeba gegenüber AFP gesagt. Reiseveranstalter befürchten nun, dass wegen des Überfalls die Tourismusindustrie Äthiopiens einbricht. W.S., D.J.

Wer die Angreifer waren, ist bis heute nicht bekannt. Im Mondlicht war nur zu erkennen, dass sie keine Uniformen trugen. Ihre Waffen klangen alle unterschiedlich, sie waren also jeweils verschiedener Herkunft oder unterschiedlichen Kalibers.

Ein klassischer Raubüberfall war es nicht, denn die Angreifer nahmen nichts mit - selbst die teuren Kameras ließen sie liegen. Doch ungewöhnlich ist die Entschlossenheit und Schnelligkeit, mit der alles durchgeführt wurde. Das spricht für eine überlegte Planung.

Beliebtes Touristenziel

Der Erta-Ale-Vulkan mitten in der auch Danakil genannten Afar-Wüste, eine der heißesten Regionen der Welt, ist ein beliebtes Touristenziel. Die braungraue Wüste ist geprägt von Lavagestein, Vegetation gibt es kaum. Die Region ist geologisch sehr aktiv, zwei Platten streben hier aufeinander. Die glühende Lava im seit Jahren ständig aktiven Vulkan ist nachts besonders eindrucksvoll. Touristen besuchen auch die nahe Salzebene 100 Meter unter dem Meeresspiegel, wo traditionell Salz für ganz Nordäthiopien abgebaut wird.

Die Anreise erfolgt in der Regel über Mekelle, die wirtschaftlich und kulturell boomende Hauptstadt des benachbarten äthiopischen Bundesstaates Tigray im Hochland. Zahlreiche lokale und internationale Reiseveranstalter haben diese Reise in ihrem Programm.

Es hat sich eine gewisse Routine etabliert: Reisen nur in größeren Gruppen im Konvoi, damit bei Motorschaden Alternativwagen zur Verfügung stehen; Begleitung durch Bewaffnete, was eine Bedingung der äthiopischen Regierung ist, seit 2007 eine britisch-französische Reisegruppe entführt wurde. Von einer extremen "Abenteuerreise" kann aber nicht gesprochen werden, es sei denn, man definiert die besonderen Reisebedingungen in der Wüste bereits als Abenteuer.

Wer bei den Afar reist, braucht traditionell die Unterstützung der lokalen Afar-Clans, die dann für Sicherheit sorgen. Das wird allerdings von den Reisegruppen aufgrund der immer größeren Routine inzwischen nicht unbedingt mehr beachtet. Sie verlassen sich auf bewaffnete äthiopische Guards, die nicht immer lokal verankert sind.

Die ländlichen Afar haben bis heute die starke Wahrnehmung, sie seien selbst keine Äthiopier. Sie identifizieren sich nicht mit dem äthiopischen Staat, den sie je nachdem als Partner oder als Gegner begreifen, und sie haben ansonsten ihre eigenen traditionellen Strukturen. Das Afar-Siedlungsgebiet erstreckt sich beiderseits der äthiopisch-eritreischen Grenze, und es gibt bewaffnete Afar-Rebellengruppen: Im äthiopischen Afar-Gebiet die Afar Revolutionary Democratic Front (ARDUF), im eritreischen Afar-Gebiet die Red Sea Afar Democratic Organisation (RSADO).

Beide werden in der Afar-Sprache Uguugumo genannt und arbeiten nach Afar-Berichten bedingt zusammen, da beide ein Hauptinteresse teilen: Schwächung jeglicher Kontrolle durch die Hochland-Regierungen Äthiopiens und Eritreas und Autonomie aller Afar-Gebiete.

Eine eher sichere Region

Die Region des Vulkans allerdings ist als eher sicher bekannt. Es ist kein Operationsgebiet der Rebellen, höchstens ein Rückzugsgebiet. Man kann auch nicht von einer Tradition von Entführungen sprechen, anders als im Jemen, wo diese eine Einkommensquelle sind.

Afar-Gruppen verüben vereinzelt Überfälle auf äthiopische Militärcamps. Noch seltener sind Entführungen, die bisher immer unblutig ausgingen. Es wird dabei nichts gestohlen. Durch Ernennung bestimmter Afar-Clanvertreter auf wichtige Posten konnte dies bisher immer gelöst werden. Die jetzigen Vorfälle lassen sich in diese Muster nicht einordnen.

Die Afar-Gebiete sind traditionell im Inneren unabhängig und aufgeteilt unter mehrere kleine Sultanate, die untereinander verbündet sind, aber eigenständig handeln; deren Sultane sind nicht mächtig, sondern Schlichter und Moderatoren der Clans. Das größte ist das Awsa-Sultanat mit der Hauptstadt Aysa'iita an der alten Awsa-Oase am Awash-Fluss, durch das die wichtigsten Karawanenrouten führen, und wo sesshafte Afar leben. Größere Ländereien werden dort von der äthiopischen Regierung für Plantagenprojekte beansprucht. Auch die neue Hauptstadt des Bundesstataes Afar, Semera, liegt im Awsa-Gebiet.

Die Afar von Awsa verloren de facto in den 1940er Jahren ihre Unabhängigkeit endgültig. Der 1944 eingesetzte Sultan Alimirah Hanfadhe starb erst 2011, und im November wurde sein Sohn Hanfadhe Alimirah neuer König von "ganz Afar". In seiner Krönungsrede erklärte er, die verlorenen Gebiete der Afar würden alle zurückerobert - ein indirekter Anspruch auch auf die Afar-Gebiete von Eritrea und Dschibuti. Äthiopiens Regierung und die Afar-Regionalregierung haben die Krönung unterstützt, da sie vom neuen Sultan größeren Einfluss auf die zahlreichen autonom agierenden Afar-Gruppen erhoffen. Vertreter mehrerer, aber nicht aller, Afar-Sultanate haben ihm gehuldigt.

Rätselraten über die Täter

Die Regionalregierung von Afar hat nun wegen der Entführten Verhandlungen mit Afar-Ältestenräten aufgenommen. Die Vorgehensweise der Angreifer allerdings spricht gegen traditionelle Afar-Rebellengruppen, es sei denn, dass diese ihre Strategie völlig umgestellt hätten - zum Beispiel aufgrund von Bewaffnung und Training aus dem nahen Ausland oder von anderen äthiopischen Rebellen.

Die äthiopische Regierung hatte sofort nach dem Anschlag Eritrea verantwortlich gemacht. Dies wurde umgehend von Eritrea dementiert. Es herrscht ein Reflex in Äthiopien, Vorkommnisse mit Toten Eritrea zuzuschreiben, bis hin zu Busunfällen. Allerdings gibt es durchaus eritreische Offizielle, die gezielt Rebellengruppen in Äthiopien auf vielerlei Art unterstützen.

Die Situation ist komplex. Afar berichten, es habe kurz vor dem Überfall auf die Europäer einen Angriff auf Afar am Erta Ale gegeben, und zwar habe eine bewaffnete Gruppe "aus Eritrea" eine Bombe auf "Uguugumo" geworfen. Viele verletzte Afar liegen derzeit in Mekelle im Universitätskrankenhaus.

Wolbert G.C. Smidt lehrt Geschichte und Kulturwissenschaften an der Universität Mekelle

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5 Kommentare

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  • G
    Günther

    Ich war selbst mit meiner Frau mit einer Reisegruppe vor 2 Jahren in diesem Gebiet. Keine Probleme, nie Angst gehabt - allerdings war unser Reiseleiter mit den dortigen Chefs gut bekannt und auf sehr freundschaftlichem Fuß. Das scheint mir dort extrem wichtig.

    Ob das im aktuellen Fall geholfen hätte????

    Möglicherweise....

     

    Das Bild zeigt übrigens die Schwefelformationen Dallol, nicht den Erta Ale.

  • J
    Johnny

    Ich wuesste nicht, was irgendwelche Kugeln in den 70ern mit der heutigen Situation zu tun haben sollten.

    Vielleicht wars dann ja aber auch die RAF.

    Halte Smidts Bericht fuer den besten und fundiertesten, den ich bisher gelesen haben.

    Sonst war ja gerne auch von ein "Reisebus" im "Nord-Osten Aethiopiens" die Rede, der beschossen worden waere.

  • J
    jenny

    Zu den detaillierten aber etwas relativierenden

     

    Schilderungen des Dozenten der Uni Mekele sei als

     

    Warnung hinzugefügt :

    Rüdiger Nehberg hat schon in den 70ger Jahren den

    blauen Nil sowie die Affar u. Issawüste bereist;

     

    sein Begleiter wurde bei einem Überfall auf das Boot

    von Räuberbanden erschossen; Nehberg selbst, als er-

    fahrener Survival-Globetrotter kam nur knapp mit dem

    Leben davon u. hatte noch manch andere brenzlige

    Situation in dieser Gegend zu überstehen!

     

    Finger weg von solch gefährlichen Gebieten, der Reise

    veranstalter war unverantwortlich, aber auch die Reisenden haben sich durch eigene Leichtsinnigkeit

    in Lebensgefahr gebracht.

    Afrika hat soviele andere, sichere Gegenden mit ein-

    maligen Naturschätzen, da muss es nicht gerade die

    Danakilwüste sein !

  • RB
    Reinhard Bockhorni

    Die bislang einzige sachkundige und sachliche Berichterstattung zum Vorfall am Erta Ale. Kompliment, dass Sie jemanden Kompetenten eine Tagesreise entfernt zu Verfügung haben und nicht auf die Nebuchanten von AA, Botschaft etc. und irgendwelche Schreiberlinge angewiesen sind.

  • HE
    harry echt

    ein sehr aufgeräumter bericht, der einen gut informiert.