Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord: Fünf KZ-Wachmänner beschuldigt
Die Männer sind heute 92 bis 96 Jahre alt. Ihr Dienst soll es möglich gemacht haben, dass in Buchenwald systematisch gemordet wurde.
Für diese getarnte Ermordung hatte die SS den Namen Genickschussanlage erfunden. Ein solches Mordinstrument befand sich ab 1941 im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Viele der in dem Zimmer mit dem roten Fußboden ermordeten sowjetische Kriegsgefangenen waren zuvor gar nicht registriert worden. Die KZ-Gedenkstätte geht davon aus, dass allein dort mehr als 8.000 Menschen ermordet wurden.
Mord verjährt nicht. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat jetzt Ermittlungen gegen fünf ehemalige SS-Wachmänner des Konzentrationslagers Buchenwald aufgenommen. Die Vorwürfe lauten auf Beihilfe zum Mord. Das bestätigte eine Sprecherin der Behörde gegenüber der taz.
Die Beschuldigten sind zwischen Juni 1921 und November 1925 geboren, also heute 92 bis 96 Jahre alt. Sie leben in Thüringen, Berlin, Baden-Württemberg, Bayern und dem Rheinland. Bisher wurden sie noch nicht vernommen worden.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Beschuldigten an der Genickschussanlage eingesetzt wurden. Doch ihr Dienst als Wachmann, so der Vorwurf, soll es möglich gemacht haben, dass in Buchenwald systematisch gemordet wurde.
Ausgelöst wurden die Verfahren gegen die fünf Greise durch Recherchen der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im baden-württembergischen Ludwigsburg. Deren Leiter Jens Rommel sagte der taz, die Beschuldigten seien in der „Spätphase“ von Buchenwald dort eingesetzt worden, also 1944/45.
Buchenwald bei Weimar war eines der größten Konzentrationslager auf deutschem Boden. Von 1937 bis zum April 1945 waren dort etwa 266.000 Menschen inhaftiert. 56.000 von ihnen wurden ermordet.
Zusammen mit den fünf Erfurter Verfahren hat die Zentrale Stelle in den letzten Monaten insgesamt 14 Ermittlungen an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben. Die neuen Fälle sind das Ergebnis von Abgleichungen zwischen Listen ehemaliger SS-Bediensteter in Konzentrationslagern und Nachforschungen darüber, ob Beteiligte noch am Leben sind. Eine neue Rechtsauffassung ermöglicht seit 2016 Verurteilungen von KZ-Personal wegen Beihilfe zum Mord auch dann, wenn kein individueller Mord nachgewiesen werden kann.
Todesschuss oder Giftspritze
Bedingung dafür ist, dass die Beschuldigten zu einer Zeit in den KZs eingesetzt waren, als dort systematisch Menschen ermordet wurden, sei es durch Erschießung, Giftinjektion, Vergasung oder durch die grauenhaften Lebensumstände. Das trifft etwa in Auschwitz auf die gesamte Lagergeschichte zu, bei anderen KZs dagegen nur auf die letzten Jahre vor der Befreiung. Deshalb sind akribische Recherchen notwendig, auch darüber, welches Wissen einem Beschuldigten bei seinem damaligen Einsatz unterstellt werden kann. Dazu zählt etwa, ob man von den Wachttürmen aus Morde und Mordvorbereitungen beobachten konnte.
Die weiteren Fälle betreffen ehemaliges SS-Personal der KZs Auschwitz, Ravensbrück und Mauthausen. Schon länger andauernde Ermittlungen sind gegen Frauen und Männer anhängig, die im KZ Stutthof Dienst taten. Gegen drei Personen, die in Majdanek und Stutthof Dienst taten, ist Anklage erhoben worden. Gerichte in Münster und Frankfurt am Main entscheiden demnächst über drei Prozesseröffnungen.
Oberstaatsanwalt Jens Rommel sagte der taz, seine Behörde betreibe derzeit Vorermittlungen gegen SS-Personal aus den Konzentrationslagern Neuengamme, Bergen-Belsen, Mittelbau, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Flossenbürg, Groß-Rosen und Mauthausen. Auch erwägt die Zentrale Stelle laut Rommel die Ausweitung der Recherchen auf weitere Massenverbrechen, etwa der Einsatzgruppen in der Sowjetunion oder bei Getto-„Räumungen“ im besetzten Polen.
Die Arbeit der Ermittler werde allerdings „von Jahr zu Jahr schwieriger“, sagte Rommel. „Das Risiko, dass ein Beschuldigter stirbt“, erhöhe sich angesichts von deren Alter erheblich. Viele noch lebende Verdächtige seien zu gebrechlich für einen Prozess und deshalb verhandlungsunfähig.
Rommel verwies in diesem Zusammenhang auf die Recherchen seiner Behörde zum KZ Auschwitz. Im Oktober 2013 habe man insgesamt 30 Fälle an die Staatsanwaltschaften abgegeben. Drei der Beschuldigten starben kurz darauf. 22 waren verhandlungsunfähig. Fünf wurden schließlich angeklagt. Von diesen starb einer kurz vor Prozessauftakt, eine Frau erwies sich als zu gebrechlich für ein Verfahren, und einem Beschuldigten wurde in Lauf des Prozesses Verhandlungsunfähigkeit attestiert. Es blieb bei lediglich zwei Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord. Einer der Verurteilten, Oskar Gröning, soll demnächst seine vierjährige Haftstrafe antreten, der andere, Reinhold Hanning, ist im letzten Jahr verstorben.
Bleibt es bei diesem Verhältnis von Ermittlungen zu Urteilen, dann ist in nächster Zeit mit der Eröffnung von nur ein bis zwei Hauptverfahren zu rechnen.
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