: Erlöst werden nur die Wachen
■ Der Unterschied zwischen Gemeindemitglied und Gemeindemitglied von St. Martini
Die Martinigemeinde macht einen ausgesprochen ausgeschlafenen Eindruck. Nicht nur gelingt es da Eltern, ihre minderjährigen filii und filiae, zur besten Computerspielzeit mit in die lichte Backsteinromanik von St. Martini zu locken, und auch singen tut man hier fast so schnell wie die Orgel spielt und so, man z.B. die Frau zu meiner rechten richtig als persönlich und deutlich hört. Dennoch muß ich fragen: ist nicht die Frau zu meiner rechten, obwohl sie „Macht hoch die Tür“ auswendig alle fünf Strophen singt, doch vielleicht eine der faulen fünf Jungfrauen aus Math. 25, 1 bis 13, die von unser aller Bräutigam nicht mit in den Festsaal hineingelassen werden, dann, wenn das große Fest anhebt?
Pastor Urban aus Holland, hin und wieder zu Gast in St. Martini, damit der Bruder im Geiste Motschmann nicht immerzu dran ist, predigt über das Gleichnis von den fünf törichten und den fünf klugen Jungfrauen. Die fünf klugen sind klug, weil sie soviel Öl mitgenommen haben, daß ihre Lampen noch brennen, als der Herr verspätet zum Fest erscheint, von dessen Ankunft sie und wir bekanntlich Tag und Stunde nicht kennen. Die faulen sind mit zuwenig Öl losgegangen, und mit den erloschenen Lampen nimmt der Herr sie nicht mit aufs Fest.
Pfarrer Urban ist erfüllt von zwei Dingen. Das erste ist ein kindlicher Jubel, der sich wieder und wieder über seine Gesichtszüge und Stimmbänder hermacht, über den anstehenden Ausbruch des großen Hochzeitsfestes. „Unser sehnlichster Wunsch, daß der Herr kommt“ - immerhin in der Bibel als apokalyptischer Weltuntergang und nicht als dufte Fete „im Himmel“ beschrieben - ist ihm eine über alle Erklärungsnotwendigkeit erhabene jubilierende Gewißheit. Nur, und das ist die zweite und entscheidende Botschaft des Pfarrer Urban: Es gibt in puncto großes Erlösungsfest „Unterschiede zwischen Gemeindemitglied und Gemeindemitglied.“ Wenn es nämlich losgeht, dann dürfen nicht alle Gemeindemitglieder mit hinein, sondern nur die, die wie die klugen Jungfrauen für genug Öl gesorgt haben. Und mit Öl ist der heilige Geist gemeint. Und den heiligen Geist erwerben nur die, die es nicht wie die Törichten bei „einem Mindestmaß an Bibelkenntnissen und schriftgemäßer Lebensweise“ bewenden lassen, sondern „jeden Tag lesen und studieren das Wort Gottes“.
Wer also nur selten im Gottesdienst erscheint und wer nicht auch noch den Bibelarbeitskreis mitmacht, und wer nicht seine Kinder täglich dazu anhält, der ist keine von den klugen, wachsamen Jungfrauen, sondern ein verschlafener Typ und damit ein klarer Fall für die Hölle. Kein Wunder, daß die Martinigemeinde mit Kind und Kegel so ausgeschlafen singt.
Uta Stolle
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