piwik no script img

Erinnerung an ermordete AntifaschistenWiederentdeckte Widerständler

Stadtteilinitiativen aus Friedrichshain erinnern an die „Kampfgruppe Osthafen“. Entdeckt hatten sie deren Geschichte beim Putzen von Stolpersteinen.

Wohngegend mit dunkler Vergangenheit – Am Rudolfplatz waren im April 1945 Widerstandskämpfer erschossen worden

Berlin taz | „Hier wohnte Paul Schiller – Jahrgang 1895, Mitglied der KPD, ermordet am 22. April 1944“, steht auf einem Stolperstein, der vor einem Haus in der Rochowstraße in Berlin-Friedrichshain in den Boden eingelassen ist. „Entdeckt“ hat ihn die Stadtteilgruppe „Wem gehört der Laskerkiez“, als sie vor drei Jahren die Stolpersteine in dem Kiez putzte.

Der Stein war der Anstoß für die Wiederentdeckung einer antifaschistischen Gruppe, die vor allem in der Gegend um den Rudolfplatz im Süden Friedrichshains agierte und weitgehend vergessen war. Sie nannte sich Kampfgruppe Osthafen – nach der damals in der Gegend bekannten Hafenanlage an der Spree, wo einige ihrer Mitglieder arbeiteten. Die Gruppe setzte sich aus Mitgliedern von KPD und SPD sowie Parteilosen zusammen, die sich oft schon in der Weimarer Republik gekannt hatten.

Am 6. Mai wollen die Stadtteilgruppen „Wem gehört der Laskerkiez?“ und „Wir bleiben alle Friedrichshain“ gemeinsam mit VVN-Bund der An­ti­fa­schis­t*in­nen an die Kampfgruppe erinnern. Grundlage ihrer Recherche ist das von Heinz Müller in den 1970er Jahren in Ostberlin herausgegebene Buch „Kampftage in Berlin“, in dem es ausführlich um die Aktivitäten der Gruppe geht. Die Recherche beruht auf Interviews mit Antifaschist*innen, die in der Gruppe aktiv waren.

Demnach verhinderten die Anti­fa­schis­t*in­nen, dass die großen Lebensmittelmagazine am Osthafen zerstört würden. Sie sprengten Munitionslager und machten die Waffen so unbrauchbar. Außerdem entwaffneten sie fana­tische Nazis und überredeten deutsche Soldaten und Flakhelfer dazu, die Waffen niederzulegen. Dazu hatten sie mehrere Keller vorbereitet, in denen sich die Deserteure verstecken konnten. Wie gefährlich diese antifaschistische Arbeit war, zeigte der Tod von Paul Schiller und Fritz Fieber. Die beiden Mitbegründer wurden am 23. April 1945 auf dem Rudolfplatz erschossen.

Viele Frauen beteiligt

Bemerkenswert ist der hohe Anteil von Frauen, die im dem Buch gesondert aufgelistet sind. Während ihrer Recherchen fiel den Stadtteilgruppen auf, dass das auf Paul Schillers Stolperstein angegebene Todesdatum fehlerhaft ist. Schiller starb am 23. April 1945. Auf dem Stolperstein ist jedoch der 22. April 1944 angegeben. Die Gruppen möchten den Stolperstein korrigieren lassen. Außerdem planen sie die Verlegung eines Stolpersteins für den Jungkommunisten Bruno Schilter, der in der Nacht zum 1. August 1934 von der SA in Friedrichshain erschlagen wurde. Für diese Gedenk- und Erinnerungsarbeit soll auf der Veranstaltung Geld gesammelt werden.

Dass die Kampfgruppe Osthafen heute kaum bekannt ist, sei kein Zufall, sagt Carsten Fuchs von „Wir bleiben alle Friedrichshain“. „Hier handelt es sich um einen proletarischen Widerstand und der hinterlässt oft kaum Spuren in den Geschichtsbüchern“, sagt er. Das wollen sie langfristig ändern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!