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Erinnerung an den HolocaustDie Bilder des Vaters

... und manchmal stecke ich auch aus Versehen den Pinsel in den Mund." Thomas Frankl stellt die Bilder seines Vaters, des Auschwitz-Überlebenden Adolf Frankl, in Wien aus.

Adolf Frankl zusammen mit seinen beiden Söhnen Thomas (links) und Jan (rechts) bei der Eröffnung der ersten Kunstausstellung Adolf Frankls in der Galerie Ehrenfest in Wien 1974. Bild: Familie Frankl

Mitten in Wien, am Judenplatz, ist eine kleine Galerie. Dicht gedrängt hängen bunte Gemälde und Zeichnungen. Erst bei genauerem Hinsehen lassen sich die Motive entdecken: weit aufgerissene Augen und Münder, Hundegesichter, Fratzen. Das Werk des Auschwitzhäftlings und jüdischen Künstlers Adolf Frankl.

Sein Sohn Thomas stellt die Bilder aus. Es ist eine Referenz an den Vater, der ihm oft fremd blieb zu Lebzeiten, dessen Malerei er anfangs sogar "nicht besonders gut" fand.

Thomas Frankl, geboren 1934, führt durch die Ausstellung. Was ihn bewegt und antreibt, ist, das Werk seines Vaters für die Zukunft zu sichern. "Die Kunstwerke meines Vaters sind ein einzigartiges Zeugnis - das Zeugnis eines Überlebenden", sagt er. "Und ein Mahnmal, damit niemandem so etwas wieder geschieht."

Während der vergangenen dreißig Jahre stellte Thomas Frankl die Bilder in Österreich, Deutschland, Israel, Polen, den USA, Italien und der Slowakei aus. Und seit 2006 auch in seiner Galerie "Artforum" in Wien. Von hier aus möchte er die Werke am liebsten an Museen verkaufen, damit sie auch weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich bleiben.

"Auf einer Leinwand verteile ich ohne Plan die Farben mit einem Spachtel, den Fingern und dem Pinsel. Ich bin in die Arbeit so vertieft, dass ich Gesicht, Haare, Kleider und Schuhe mit Farbe bekleckse, und manchmal stecke ich auch aus Versehen den Pinsel in den Mund."

Adolf Frankl

"Während meiner Arbeit ist der Vater immer da", erzählt Thomas Frankl, "das ist ein sehr gutes Gefühl." Doch das war nicht immer so. Viele Jahre sah das Leben Thomas Frankls anders aus, die Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Vergangenheit und mit den Kriegsverbrechen während des Nationalsozialismus standen nicht so im Vordergrund wie heute.

Thomas Frankl war Geschäftsmann - arbeitete in einem Investmentbüro in Frankfurt am Main und war später Besitzer eines Großhandels für Freizeitbekleidung in München. Doch zuvor, Mitte der Fünfzigerjahre, war er in die USA ausgewandert, um "ein neues Leben" anzufangen, überhaupt eine berufliche Perspektive zu finden. In New York arbeitete er zunächst in seinem erlernten Handwerk, der Ledergalanterie, aber auch als Kellner, im Zollamt, als Schuh- und Espressomaschinenverkäufer. Dann, durch Beziehungen eines Freunds, gelang ihm der Sprung in die Investmentbranche, und er arbeitete schließlich als Anlageberater in Costa Rica, Nicaragua, Panama und El Salvador.

Als seine Firma 1965 eine Filiale in Deutschland eröffnete, ergriff Thomas Frankl die Chance, wieder nach Europa zu kommen. "Ich hatte Sehnsucht danach", sagt er lächelnd, "und die Bindung zu meinen Eltern war zudem sehr stark." Er heiratete, wurde Vater einer Tochter und gründete 1973 mit seiner Frau Inge Ruth die Bekleidungsfirma in München.

"Am Abend, wenn alle schlafen, hole ich das gefärbte Gewebe hervor, und von meinem Bett aus beobachte ich es stundenlang. Erst durch meine Hand, dann nur mit einem Auge, dann im Spiegel suche ich nach der Lösung, um die grauenhaften Gedanken, die hinter meinen Augen toben, für andere verständlich zu machen."

Adolf Frankl

1974 fand die erste Kunstausstellung Adolf Frankls, der 1983 verstarb, in Wien statt - organisiert vom Wiener Galeristen Dr. Rudolf Oertel, der auch Geschäftsführer eines Pfandleihhauses war. Ihm hatte Adolf Frankl über Jahre hinweg seine Werke verpfändet, um vom Erlös Leinwand, Pinsel und Farben kaufen zu können. Die Ausstellung wurde ein Erfolg. Später kaufte Sohn Thomas die verpfändeten Werke zurück.

"Den Wert der Bilder meines Vaters erkannte ich erst nach meiner Rückkehr nach Europa", sagt Frankl. Mitte der 1960er-Jahre fand in der Bundesrepublik Deutschland eine breite politische Debatte über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus statt. Auch die anschließende Studentenbewegung thematisierte den Holocaust und fragte nach seinen Ursachen. "Es wurde immer mehr über die Greueltaten und die Vernichtung der Juden und all der anderen Menschen gesprochen", sagt Frankl.

Immer intensiver setzt er sich jetzt mit dem Holocaust auseinander. Sucht die Orte der Familiengeschichte auf, recherchiert, findet Dokumente. Dreht mit dem slowakischen Fernsehen den inzwischen in Kanada, Tschechien und der Slowakei preisgekrönten Dokumentarfilm "Visionen aus dem Inferno", in dem er sich auf die Spuren des Vaters bis nach Auschwitz begibt. "Freunde haben oft wenig Verständnis", so Frankl. "Sie sagen: ,Lass die Vergangenheit doch in Ruhe.' "

Doch die Vergangenheit ist für Thomas Frankl wichtig geworden. "Wie ich in den Bildern meines Vaters immer neue Szenen und Details entdecke, so kommen mir immer wieder neue Erinnerungen." Über die kann Frankl erst seit einigen Jahren sprechen, wie er sagt. Und dann dringen die inneren Bilder hervor, unterbrochen von Tränen und Schweigen: Wie die Familie in der Nacht des 28. September 1944 in ihrer Heimatstadt Bratislava (Slowakei) von deutschen und slowakischen Soldaten verhaftet wird, der Vater ihnen Geld anbietet, die Schwester sich hinkniet und bittet: "Nechajte nás tu!", man möge sie doch dalassen, die Mutter die frische Narbe ihrer Bauchoperation zeigt, sie alle dennoch auf die Straße getrieben werden, zum Güterbahnhof, wo die Deportationszüge bereitstehen, wie die Mutter vor den Leiter der Deportation, SS-Hauptsturmführer Alois Brunner, hintritt und behauptet, ihr Mann, sie und die Kinder seien keine Juden und durch diese Notlüge tatsächlich sich, Thomas und Erika retten kann - "Da hat unsere Mutter uns zum zweiten Mal geboren!" - wie Thomas mit seiner Schwester (und getrennt von ihnen auch die Mutter) bei verschiedenen Familien in Bratislava versteckt werden, von Nichtjuden, und wie der Vater nach Kriegsende schließlich vor dem Haus steht, Thomas ungläubig und freudig zugleich, die Eltern sich zurückziehen und stundenlang weinen - vor Freude.

"Mein begonnenes Bild holt mich zurück. Langsam bilden die Farben Gesichter, und wieder kommen die Erinnerungen ganz stark über mich. Mit geschlossenen Augen sehe ich sie vor mir, die jüdischen Mädchen, die Blumen Zions, wie sie am Stacheldrahtzaun des Lagers standen, als ich nach Birkenau kam, mit gespreizten Beinen, um nicht umzufallen, mit hängenden Armen, vorgebeugt. Diese Augen - ich kann sie nicht vergessen."

Adolf Frankl

"Es ist erstaunlich", bemerkt Thomas Frankl rückblickend über die Jahre nach dem Krieg, "dass man trotz der schlechten Erlebnisse so rasch, eigentlich sehr rasch ins ,normale Leben' reingekommen ist. Natürlich haben die älteren Leute immer gesprochen und jene bedauert, die nicht mehr da waren. Aber man traf sich mit den Überlebenden, und das hat wahrscheinlich überwogen. Das hat alles überwogen."

Enteignet von den Nazis und den Kommunisten

Bei der Befreiung Bratislavas war Thomas elf Jahre alt, seine Schwester acht. Ihr Vater übernahm nach der Rückkehr aus Auschwitz wieder sein Geschäft für Inneneinrichtung, das er bis zur Enteignung 1941 geführt hatte. Er stellte sogar den Hausmeistersohn, der die Frankls denunziert hatte, wieder ein. Hass sei ihrem Vater fremd gewesen, sagt Thomas.

Er selbst und seine Schwester durften endlich, nach Jahren der Ausgrenzung, wieder zur Schule gehen. 1947 wurde Bruder Ján geboren. 1949 wurde Adolf Frankl zum zweiten Mal enteignet, diesmal von den Kommunisten. Die Familie floh nach Wien. Die Frankls waren nun mittellos. Um nicht nur von der Flüchtlingshilfe leben zu müssen, betrieben die Eltern Schwarzhandel mit Strümpfen, Tüchern und Krawatten.

Doch Adolf Frankl war jetzt kaum noch fähig zu arbeiten. "Das wenige Geld, das er beim Hausieren verdiente", sagt Thomas Frankl, "gab er noch Ärmeren oder verlor es beim Kartenspiel." Adolf Frankl mit der KZ-Nummer B 14395 war ein gebrochener Mann, unter Angstzuständen leidend, unfähig, über seine Erlebnisse im Vernichtungslager zu sprechen. Nachts schrie er oft im Schlaf auf und weinte, und wenn er nicht schlafen konnte, malte er.

Die Bilder fand Thomas damals "in den Farben zu grell", wie er einräumt, dennoch halfen er und Ján ihrem Vater, die Werke an das Pfandleihhaus Oertel zu liefern. Der Mutter half Thomas beim Hausieren. "Mein Vater war nicht mehr das, was er mal gewesen war: leader of the family", sagt Frankl. Er habe mitgefühlt, was sein Vater durchgemacht hatte, sagt er. Und nach einer Pause: "Wir hätten mehr Rücksicht auf ihn nehmen müssen."

Seit der Aufgabe seines Münchner Geschäfts 1993 widmet sich Thomas Frankl fast vollständig den Kunstwerken seines Vaters - über 200 Gemälde und rund 2.000 Zeichnungen. Das Ausstellungsprojekt steht unter der Schirmherrschaft des UN-Hochkommissars für Menschenrechte.

"Mit meinen Werken habe ich allen Völkern dieser Welt ein Mahnmal gesetzt", hinterließ Adolf Frankl, "es soll niemandem, egal welcher Religion oder politischen Anschauung, dieses oder Ähnliches widerfahren."

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