Erinnerung an Camille Lepage: Sie hatte eine Mission
Die Fotojournalistin Camille Lepage wurde in Zentralafrika tot aufgefunden. Eine mutige Frau, die einen Völkermord dokumentierte.
Als der Radiomoderator sagte, „eine französische Journalistin wurde in der Zentralafrikanischen Republik tot aufgefunden“, wusste ich es sofort: Es war Camille Lepage. Mein Herz stockte. Ich prüfte die Nachricht im Internet, ging auf ihre Facebook-Seite. Ich hatte recht. Kollegen posteten dort bereits: „Rest in Peace“.
Ich weinte. Tränen tropften auf meine Computertastatur. Ihre Facebook-Wall war bislang ein von ihr sorgfältig geführtes Tagebuch eines brutalen Krieges, der da im Herzen des afrikanischen Kontinents unbemerkt vor sich ging. Jetzt wurde sie zum virtuellen Grabstein einer der mutigsten Fotografinnen, die ich kannte.
Ihr letzter Facebook-Eintrag war vom 6. Mai. Sie schrieb aus einer Kleinstadt im Westen des Bürgerkriegslandes – mitten aus dem Niemandsland, wo sich bislang keine Nichtregierungsorganisation und nicht einmal die afrikanischen oder französischen Eingreiftruppen hinwagten. Camille war allein unterwegs, mit dem Motorrad. Sie schrieb, dass die muslimischen Séléka-Rebellen sich in den Büschen versteckten und Massaker begingen.
Sie berichtete von einem Dorf, in welchem über 150 Menschen getötet worden waren. Gräueltaten, von welchen nicht einmal die UNO Kenntnis hatte. Camille war die einzige Zeugin, was dort im Busch tatsächlich vor sich ging. Wenig später war sie tot.
Man hatte ihre Leiche am Dienstag auf einem Lastwagen entdeckt. Zufällig. Ihre weiße Haut stach hervor. Sie lag da zwischen weiteren fünf Leichen. Darauf saßen eine Handvoll Kämpfer der christlichen Anti-Balaka-Milizen, die sich seit Dezember mit dem muslimischen Séléka-Rebellen einen blutigen Krieg liefern. Französische Soldaten hatten den Lastwagen gestoppt. Nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, aus welchem Camille das Massaker gemeldet hatte, rund 70 Kilometer nordwestlich von Bangui.
Sie war überall im Land bekannt
Es ist bislang nicht klar, wie sie getötet wurde. Es hatte Kämpfe gegeben in dieser Gegend. Sie war mit den Anti-Balaka-Milizionären „embedded“ unterwegs gewesen. War sie im Kugelhagel ausversehen getroffen worden oder hatte man sie gezielt ermordet? Es klingt makaber, dass ich mich in diesem Moment dafür interessiere, wie sie starb. Doch in einem Bürgerkrieg wie diesem, in welchem so viel bestialische Gewalt ausgeübt wird, macht dies einen Unterschied.
Camille hatte selbst so viele Fotos geschossen von Leichen mit verstümmelten Gliedmaßen, von jungen Männern, die mit abgetrennten Köpfen Fußball spielen, von Kannibalen, die in ein abgetrenntes Bein hineinbeißen wie in eine Schweinshaxe. So zu sterben wünscht man keinem, vor allem nicht der zierlichen Camille.
Sie war so jung. Gerade einmal 26 Jahre. Sie war hübsch, mit großen Augen, nicht zu bändigenden langen Locken und einem Lachen, das selbst in diesem Elend und Kriegsgebiet noch ansteckend war. Mit ihrer Lebensfreude und ihrer Kamera konnte sie ganze Kinderscharen im Flüchtlingslager zum Kichern und Glucksen bringen. Camille war überall im Land bekannt und auch sie kannte fast jeden.
Camille arbeitete seit Dezember als freie Fotografin in Zentralafrika. Die kleine Französin war gerade mit ihrem Journalismus-Studium fertig. Sie hatte sich auf die Fahnen geschrieben, diesen grausamen Konflikt von A bis Z zu dokumentieren. Sie hatte sich in Bangui fest einquartiert. Während wir Kollegen nach ein oder zwei Wochen wieder abreisten und wieder unserem normalen Leben nachgingen, blieb Camille. Ihre Kamera macht sie zur Zeugin von gewaltigen Verbrechen, gar von einem Völkermord. Sie hatte eine Mission.
Klick für Klick zählte sie die Toten
Sie stand jeden Tag um fünf Uhr auf. Da graute gerade der Morgen, Dunst lag noch über der Stadt. Ohne zu frühstücken, schnappte sie sich ihre beiden schweren Kameras und schwang sich ins Auto. Jeden Morgen. Sie fotografierte die frischen Leichen, die auf der Straße lagen, bevor das Rote Kreuz sie einsammelte. Tag für Tag, Klick für Klick zählte sie die Toten – in einem Konflikt, in welchem nicht einmal mehr die UNO Schätzungen anstellt, wie viele Menschen bislang starben. Von allen Journalisten, Menschenrechtlern und UN-Mitarbeitern war niemand so nah dran an der brutalen Wirklichkeit dieses Krieges wie Camille.
Ich bewunderte sie dafür zutiefst. Und fragte mich gleichzeitig, wie sie das aushielt, wie sie all dies verkraftete. Sie kam einmal zu mir, wollte reden. Über ihre Angst. Daran merkte ich, wie tapfer sie war. Journalisten und Fotografen reden normalerweise nicht über Gefühle. Jeder hat sie, jeder weiß um die Angst des anderen. Wir alle kennen die Albträume, die Erinnerungen, die auch Wochen später noch quälen. Doch nie spricht jemand darüber. In dieser Branche ist das tabu. Camille war anders. Sie wollte reden.
Sie sagte, sie wollte nicht abstumpfen. Sie wollte fühlen, was passiert. „Ja, ich habe oft Angst“, hatte sie zugegeben. Unter all den alten Hasen des Kriegsjournalismus, die da um sie herum saßen, war die junge frisch gebackene Fotografin die mutigste von allen: Sie wollte nicht nur mit ihren Augen, sondern auch mit ihrem Herzen diesen Konflikt dokumentieren. Das machte ihre Bilder so einzigartig.
Jedes ihrer Fotos erzählt eine Geschichte von Angst, Wut, Hass und Verzweiflung. Sie zeigte mir einmal einen Schnappschuss: Eine Handvoll junger Anti-Balaka-Kämpfer machten sich über ein Mädchen her, die frittierte Teigbällchen verkaufte. Sie hielten ihr die Machete an die Kehle. Das Foto war gestochen scharf. „Ich habe ihnen die Teigbällchen bezahlt, damit sie das Mädchen nicht töten“, hatte Camille gesagt. Ich musste schlucken.
Jeder sollte es wissen
Camille hatte eine Grenze überschritten, die für uns Journalisten in diesen Kriegsgebieten überlebenswichtig ist. Sie war zu nah dran. So nah, dass sich der Tod und das Grauen schier vor ihre Kamera abspielten. So nah, dass sie leicht selbst zum Opfer werden konnte. Wer will schon beim Töten und Massakrieren gefilmt werden?
Was Camille tat, war verdammt gefährlich. Wir sagten ihr das oft. Doch sie träumte davon, diese Bilder in einer großen Ausstellung der Welt zu zeigen, „damit niemand mehr sagen kann, er habe nicht gewusst, was da in Zentralafrika passiert“, hatte sie gesagt. Erst vor wenigen Wochen war sie nach New York gereist, um dort ihr Portfolio vorzustellen. Ihr Traum schien wahr zu werden. Für einen kurzen Moment.
Jetzt ist sie tot. Und wir alle, die sie kannten und sie schätzten, müssen uns fragen: Hätten wir sie nicht aufhalten können, ihr Leben so sehr für ihre Mission aufs Spiel zu setzen? „Pass auf dich auf“, hatte ich zu ihr zum Abschied gesagt. Das war bitter ernst gemeint. Aber eben nicht genug. Ruhe in Frieden, Camille.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier