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Erhöhung der ZusatzbeiträgeHunderttausende wechseln Krankenkasse

Die ersten Zusatzbeiträge haben etliche Krankenversicherte zum Kassenwechsel getrieben. Künftig sollen die Beiträge unbegrenzt steigen können.

Zusatzbeitrag unerwünscht. Bild: dpa

BERLIN dpa | Hunderttausende gesetzlich Versicherte haben seit Jahresbeginn bei ihrer Krankenkasse gekündigt, die einen Zusatzbeitrag erhoben hatte. Im ersten Halbjahr gab es deutliche Abwanderungen bei den ersten 16 betroffenen gesetzlichen Kassen, wie Informationen aus Branchenkreisen belegen.

Die DAK verließen bis zum 1. Juli rund 307.000 Versicherte, bei der KKH-Allianz waren es 147.000. Die Kassen bestätigten die Zahlen. Ein kleinerer Teil der Abgänge sei aber unter anderem auch auf Todesfälle zurückzuführen. Bei keiner der Kassen gebe es eine krisenhafte Entwicklung, sagte der Chef des Ersatzkassenverbands vdek, Thomas Ballast. Gewinner waren vor allem die Techniker Krankenkasse und die AOK. Diese Kassen brauchen keine Zusatzbeiträge.

Früher zogen fast nur jüngere Gutverdiener zu Kassen mit niedrigeren Beitragssätzen. Die BKK Gesundheitskasse musste einen Aderlass von 20 Prozent ihrer Mitglieder hinnehmen. "Wir können das eindeutig auf den Zusatzbeitrag zurückführen, mittlerweile geht die Abwanderung zurück", sagte eine Sprecherin.

Die KKH-Allianz äußerte sich optimistisch, im kommenden Jahr wieder ohne Aufschlag auskommen zu können. "Die angesprungene Konjunktur führt im kommenden Jahr auch zu einer Entspannung in der gesetzlichen Krankenversicherung", sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU).

Vermehrte Zusatzbeiträge und Sozialausgleich dürften aber ab 2012 die Kassenlandschaft weiter durcheinanderwirbeln. "Die Unterschiede bei der Liquidität der einzelnen Kassen ist groß", sagte der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. Wer also mehr zahlen muss, dürfte dahin wechseln, wo es weniger kostet. Viele Kassen dürften unter Druck geraten. Wasem meinte, es sei abzusehen, dass die Zahl der Kassen von derzeit 163 auf 100 sinken werde. FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, die Koalition sorge dafür, "dass ein Wettbewerb zwischen den Kassen jetzt wirklich stattfinden kann".

Mit Spannung erwarten Kassen und Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf von Minister Philipp Rösler (FDP) nach dem Sommer. Die bisher auf maximal 1 Prozent des Einkommens begrenzten Zusatzbeiträge sollen künftig unbegrenzt steigen können. Der Ausgleich aus Steuern soll aber verhindern, dass Versicherte mehr als 2 Prozent ihres Einkommens zahlen. Die Ersatzkassen warnen vor neuer Ungerechtigkeit. Im Fall höherer Zusatzbeiträge "werden Besserverdienende relativ weniger stark belastet als Menschen mit mittlerem und niedrigem Verdienst", sagte der Chef ihres Verbands vdek, Thomas Ballast.

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1 Kommentar

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  • V
    vic

    Sollte sich die Anzahl der Kassen reduzieren, hätte die bescheuerte "Reform" immerhin ein klein wenig Nutzen gebracht, bei all dem Schaden den sie anrichtet.

    Aber selbst wenn "nur" 100 Kassen übrig bleiben frage ich mich; wer braucht 100 Krankenkassen?

    Was wir brauchen ist ein solidarisches Gesundheitssystem, und das bedeutet ALLE zahlen ein. ALLE meint, jeder Bundesbürger - ohne Ausnahme.