: Erhöhtes Wuselaufkommen
■ Der erweiterte „Weserpark“ schlägt seit gestern Bremens Einzelhandelsrekorde
In der Textilreinigung seit 1853 hängt um kurz nach sieben Uhr am Dienstag morgen noch kein einziges frisch aufgebügeltes Kleidungsstück am Haken. Wie auch: Soeben hat der Laden im Neubau des Einkaufszentrums Weserpark seine Eröffnung gefeiert – ganz ohne Banddurchschneiden, dafür mit einem freundlichen „Guten Morgen“ an die potentielle Kundschaft, die an schmutzige Wäsche heute noch nicht gedacht hat. Es ist zu früh. Unausgeschlafene Pärchen jeder Altersgruppe schieben sich Hand in Hand vorbei. „Wir wollen mal gucken“, sagen die FrühaufsteherInnen – und meinen allerdings weniger die Reinigung. Bei der Eröffnung des Neubaus am Einkaufszentrum Weserpark zählten gestern – mangels echter Grabbeltische – nur die vollen Kleiderständer.
Um die gruppierten sich am Morgen allenthalben zufriedene Angestellte und analysierten die Lage vorab. „Die in der Innenstadt werden lange Nasen machen. Leute, die heute nicht zu uns kommen, müssen nach all der Werbung doch denken, sie verpassen eine Stunde Lebensglück“.
Im neuen dreistöckigen Gebäudetrakt, in dem auf rund 40.000 Quadratmetern rund 50 neue Läden eröffneten – neben Bekleidungskaufhäusern auch kleinere Dessous- und Schmuckläden, eine Spielwaren- und eine Buchhandlung, – steigt die Wuseldichte derweil. Während sich die internationale Elternschaft Kinderklamotten gleich im Großfamilienpack eintüten läßt, stellen sich grauhaarige Einzelgänger für einen kleinen Plastik-Tüdelütt in die Schlange am Glücksrad. Andere flüchten einfach nur an die Kaffeebar – als wäre es ein ganz normaler Einkaufsmorgen. Ist es aber nicht.
Bauarbeiter und Belegschaft in sämtlichen Geschäften haben am Abend zuvor noch Überstunden gekloppt – auch im alten Teil des Einkaufszentrums. Dort stand schon am Morgen danach fest: „Die Stoffballen hätten wir auch heute früh noch in Ruhe sortieren können. So groß ist der Andrang ja nun nicht.“ Doch die Verkäuferinnen behielten nur begrenzt recht. Wer um halb acht Uhr noch unkte, daß das Chaos der Eröffnung von 1990 wohl manchem noch als abschreckender Schock im Nacken saß, wurde schon eine Stunde später eines Besseren belehrt. Da hatten sich die 70 Neugierigen, die zuvor an den Pforten von C&A mit Handschlag, Dixiland und Sekt gefeiert worden waren, schon vervielfacht.
„Nie und nimmer reichen die Parkplätze heute“, sagt draußen der junge türkische Einweiser. Er winkt die Autos nur weiter – hinter die Baustelle beim neuen Möbelhaus Klingeberg. Lieber würde der arbeitslose Anlagenbauer zwar etwas anderes machen – „aber ich habe nur einen guten Gesellenbrief, kein Vitamin B.“ Zu den prognostizierten 700 neuangestellten Vollzeitkräften, die das Einkaufszentrum absorbieren soll, wird er nicht zählen. ede
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