Erhängt und totgeschwiegen

■ Auf der Suche nach Albert Richter – Radrennfahrer: Das Lichtmeß erinnert mit einem Dokumentarfilm an den Sportler, der in einem Gefängnis der Nazis starb

Man muss sich nicht für Sport begeistern, um den Namen Max Schmeling zu kennen. Viele Größen aus dem Spitzensport, Filmstars und andere Idole, die in den 30er und 40er Jahren ihre Blütezeit hatten, sind einem heutzutage noch ein Begriff, obwohl sie zum Nationalsozialismus ein relativ ungetrübtes Verhältnis hatten. Angesichts der Geschichte Albert Richters könnte man auf die Idee kommen, das läge gerade daran, dass sie sich mit dem NS-Regime arrangiert hatten. Zumindest verschwand der einst gefeierte Radprofi für lange Zeit gerade deshalb aus dem kollektiven Gedächtnis, weil er sich nicht genug arrangiert hatte.

Raimund Weber und Tillmann Scholl spüren in ihrem Dokumentarfilm Auf der Suche nach Albert Richter – Radrennfahrer dem Werdegang des früheren Weltklassesportlers nach. Ihr besonderes Interesse gilt den mysteriösen Umständen seines Todes in einer Lörracher Gefängniszelle. Während des Films werden die ZuschauerInnen Zeugen der Aufklärung des gewaltsamen Endes des 27-Jährigen. Und da der Tatort-erfahrene Regisseur Weber die Stationen der Recherche gekonnt in Szene setzt, ist es spannend Albert Richters Geschichte mitzuverfolgen, und das, obwohl man die Auflösung schon kennt.

Entscheidende Hinweise haben die von den Filmemachern aufgetriebenen, schon recht betagten Zeitzeugen geliefert. Die ehemaligen Radfahrkollegen zeichnen das Bild eines sympathischen Mannes. Der Arbeiterjunge aus ärmlichen Verhältnissen strampelt sich durch Siegesserien bei nationalen und internationalen Amateurrennen hoch. Schon da als Publikumsliebling gefeiert, wechselt er in den Profisport. Er erreicht Weltklasseniveau und ist damit ein Aushängeschild des deutschen Sports.

Man habe gemerkt, dass er die Nazis nicht mochte, da sind sich die Zeitzeugen einig. Als er 1934 – ganz strahlender Sieger – in Leipzig vor 20.000 Menschen gefeiert wird, hebt er demonstrativ nicht die Hand zum „deutschen Gruß“ und am nächten Tag ist das Bild obendrein in allen Zeitungen. Das sei natürlich eine Provokation gewesen, erinnern sich die Rennradveteranen, und von offizieller Seite auch so verstanden worden. Aber Richters Popularität schützte ihn. Selbst die Tatsache, dass er sich bei allen Rennen im Ausland von seinem nach Amsterdam emigrierten jüdischen Trainer Berliner betreuen ließ, haben die Sportfunktionäre hingenommen, zähneknirschend vermutlich.

Als Richter, der sich inzwischen hauptsächlich in der Schweiz aufhält, Ende Dezember '39 nach Berlin aufbricht, glaubt er, sein letztes Rennen in Deutschland zu fahren. Der Entschluss zur Emigration steht fest. Tatsächlich fährt er an diesem Tag sein letztes Rennen überhaupt: Auf dem Rückweg nach Basel wird er an der Grenze verhaftet. Drei Tage später ist Albert Richter tot.

Die Sportfunktionäre gaben sich alle Mühe, die Erinnerung an das bis dahin so beliebte Idol zu tilgen. Und sie hatten Erfolg – bis Ende der 80er. Dafür hat Richters ehemaliger Sportskollege aus den Niederlanden nur eine Erlärung: dass die Deutschen sich im Nachhinein immer noch schämen für ihren Umgang mit Albert Richter. Mittlerweile ist die Radrennbahn in seiner Heimatstadt Köln nach ihm benannt worden. Der mehr als zehn Jahre alte Dokumentarfilm ist selbst schon ein Stück Geschichte. Und er hat großen Anteil daran, dass man sich heute wieder an den Rennfahrer erinnert.

Ariane Dandorfer

Do, 20 Uhr, Lichtmeß