Ergebnisse der Klimaforschung: Die Tropen wandern
Der äquatornahe Regengürtel ist in den letzten 150 Jahren um mehrere hundert Kilometer nach Norden gewandert. Auf einigen Pazifik-Inseln könnte das Wasser knapp werden.
Dank eines klugen Schachzugs ist der kleine Inselstaat Palau in den vergangenen Wochen aus dem westlichen Pazifischen Ozean am Horizont der Zeitungsleser in aller Welt aufgetaucht. Das 20.000-Einwohner-Ländchen hat sich bereit erklärt, 17 aus dem US-Militärgefängnis Guantánamo entlassene, aus China stammende Uiguren bei sich aufzunehmen. Die von den US-Behörden ausdrücklich als nicht "feindliche Kämpfer" klassifizierten Männer wollte sonst kein einziges Land haben.
Fast gleichzeitig schaffte Palau es auch in die Wissenschaftsnachrichten. Von dort über die nördlichen Linieninseln (Teil des Inselstaates Kiribati) bis hin zu den Galapagos-Inseln (Ecuador), über den gesamten Pazifik von West nach Ost, hat ein internationales Wissenschaftlerteam den Beweis dafür geführt, dass sich die ergiebigste Niederschlagsquelle der Welt in den letzten 150 Jahren um etwa 500 Kilometer nach Norden verschoben hat. Veröffentlicht wurde das Ergebnis in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift Nature Geoscience.
Es geht um den äquatorialen Regengürtel. In einer wenige hundert Kilometer breiten Tiefdruckrinne strömen hier die Luftmassen des Nordost-Passats der Nordhalbkugel und des Südostpassats der Südhalbkugel zusammen, weshalb man auch von Innertropischer Konvergenzzone (ITCZ) spricht.
Da gleichzeitig die tropische Sonne dort die Atmosphäre aufheizt, kommt es zu häufigen und heftigen Niederschlägen. Mancherorts fallen bis zu vier Meter Regen pro Jahr. Schätzungen zufolge leben weltweit etwa eine Milliarde Menschen unter diesem Regenband und sind von ihm als Trinkwasserquelle abhängig. Seine weitere Nordverschiebung in dieser Geschwindigkeit könnte für sie verhängnisvolle Folgen haben.
Mit Sicherheit schon Mitte unseres Jahrhunderts existenziell bedroht wären in diesem Falle die Bewohner der kleinen Pazifikinseln. Sie verfügen kaum über Grundwasserreserven. Weltweit käme es zu Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation.
Die Forschungsgruppe, der auch je ein Wissenschaftler aus Deutschland und der Schweiz angehörten, arbeitete unter der Ägide der Washington University in Seattle, USA. Sie ging nahezu archäologisch vor. Aus dem Schlick äquatornaher Inselseen entnahm man Bohrkerne und analysierte die darin enthaltenen Algenreste, Mikroben und Wasserisotope. So erhielt man Hinweise auf die klimatischen Verhältnisse vergangener Jahrhunderte. Auf kleinen Inseln liefern solche Untersuchungen zuverlässigere Resultate, weil der Einfluss einer weiteren Nachbarschaft auf die Proben ausgeschlossen ist.
Professor Mojib Latif, Spezialist für Ozeanzirkulation und Klimadynamik vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, hält diese indirekte Beweismethode für die zweitbestdenkbare und in diesem Falle einzig mögliche. "Bei der Simulation mit einem unserer Klimamodelle", erinnert er sich, "sind wir davon ausgegangen, dass die Sonneneinstrahlung in einem Zyklus von 1.000 Jahren schwankt.
Unsere damaligen Resultate stimmen mit der neuen Studie überein. Das heißt, wir gingen in der Tat von einer Wanderung der ITCZ in Abhängigkeit von der Stärke der Sonneneinstrahlung aus. Aber das war eben nur ein Modell. Nun liefert uns der indirekte Beweis mindestens die halbe Wahrheit. Die ganze hätten uns nur exakte Messungen der Sonnenaktivität und der Niederschlagsmengen über die Jahrhunderte liefern können. Aber damit hat sich im Pazifik damals niemand beschäftigt."
Während in Europa auf das warme Mittelalter die sogenannte Kleine Eiszeit folgte, zwischen 1400 und 1850, muss zum Beispiel auf der zu Kiribati gehörenden Pazifikinsel Washington Island große Trockenheit geherrscht haben. Dies beweist das Vorhandensein von salzresistenten Mikroben in den Sedimenten aus jener Zeit. Sie benötigen ein wesentlich trockeneres Klima als das heute auf der Insel herrschende tropische. Ähnliches gilt für Palau. Hingegen beweisen schon die Tagebücher von Charles Darwin, dass es auf den heute versteppenden Galapagos-Inseln direkt am Äquator recht feucht gewesen sein muss, als er dort 1839 bahnbrechende Erkenntnisse über die Entwicklung der Arten gewann.
Die aus einer geringen Intensität der Sonnenstrahlung resultierende Kälte auf der nördlichen Hemisphäre könnte damals die ITCZ nach Süden vertrieben haben. "Wir ziehen den Schluss, dass schon kleine Änderungen innerhalb der auf die Erde treffenden Sonneneinstrahlung die tropischen Regenfälle zutiefst verändern können", heißt es in dem Nature-Geoscience-Artikel. Die Autoren suchen nun nach Hinweisen auf die zukünftige Entwicklung des Phänomens. Sie befürchten, der weltweit hausgemachte Klimawandel könnte die Situation noch verschärfen.
Mojib Latif sieht das gelassen: "Nicht viele unserer Modelle bestätigen eine weitere Wanderung des äquatorialen Regenbandes nach Norden. Die bisherige Ursache war natürlichen Ursprungs und lag ja in der Stärke der Sonneneinstrahlung.
Wieweit die globale Erwärmung da hineinspielen wird, hängt stark vom künftigen Verhalten des äquatorialen Pazifiks ab. Wenn sich die Passatwinde längs des Äquators infolge der globalen Erwärmung verstärken, könnte mehr kaltes Tiefenwasser an die Oberfläche kommen und die Wanderung verstärken. Die meisten Modelle zeigen jedoch ein entgegengesetztes Verhalten."
"Dass der tropische Regenwald eines Tages in Deutschland ankommt, ist unmöglich", versichert Professor Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK): "Was man bisher gemessen hat, ist wahrscheinlich schon die Grenze dieser Nordwanderung. Auch die aktuelle globale Erwärmung wird wohl kaum dafür sorgen, dass sich die ITCZ nach Norden verschiebt."
Trotzdem hält er die Ergebnisse der Feldarbeit im Pazifik für wichtig: "Wir können die vergangenen Vorgänge jetzt besser rekonstruieren und haben einen guten Grund, die äquatoriale Regenzone künftig schärfer im Auge zu behalten."
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