Erdölförderung in Ecuador: Vergiftet vom schwarzen Gold
In Ecuadors Amazonasregion lockten Pipelines in den 1970er Jahren über 40.000 Menschen an. Der Preis: eine vergiftete Natur. Nun hoffen viele auf ein Urteil gegen Texaco.
LAGO AGRIO taz | Endlos ziehen sich die rostbraunen Pipelines durch die Landschaft. Dicke und dünne Rohre, manchmal anscheinend ungeordnet übereinander geworfen, in denen das Erdöl aus dem ecuadorianischen Amazonasgebiet Richtung Küste fließt. Die hier lebenden Menschen nutzen die Rohre auf ihre Weise, trocknen Wäsche auf ihnen oder binden ihre Pferde dort an. Die gesamte Infrastruktur des Bundesstaates Sucumbios wurde jedoch nicht für die Menschen, sondern für die Ölförderung geschaffen. Genau genommen wurde auch Sucumbios selbst erst infolge der Erdölförderung gegründet. Alle Straßen folgen hier den Pipelines, von einem Bohrloch zum nächsten. Diese liegen inmitten sportplatzgroßer, umzäunter Felder. Exakt in der Mitte saugt eine hochaufragende Pumpe in langsamen mechanischen Bewegungen, einem Perpetuum Mobile gleich, das schwarze Gold aus dem Boden.
"Als ich sechs Jahre alt war, kamen die ersten Hubschrauber", berichtet Emerejildo Criollo, Angehöriger der indigenen Gruppe der Cofanes. "Wir fragten den bei uns lebenden Missionar, was es damit auf sich hätte. Er erklärte uns, dass nun die Kompanie ihre Arbeit beginnen werde. Vorher hatten wir in einem unberührten Regenwald mit klaren Bächen, wilden Tieren, Pflanzen und Früchten in Hülle und Fülle gelebt. Das sollte sich bald ändern." Emerejildo Criollo spricht wie so viele Menschen in der Region stets von "der Kompanie", wenn er das US-amerikanische Ölunternehmen Texaco meint.
Im Jahr 1993 reiste er nach New York, um als indigener Vertreter im Namen eines riesigen Bündnisses zur Verteidigung des Amazonasgebiets eine Klage gegen Texaco, heute Chevron, einzureichen. Denn die Flüsse hatten sich schon bald so schwarz wie das Öl gefärbt, das die Kompanie förderte. Criollos erster Sohn starb schon im Babyalter, sein zweiter wurde nur neun Jahre alt. Der Urteilsspruch im Verfahren steht noch immer aus; mittlerweile sind Reparationszahlungen von 27 Milliarden Dollar im Gespräch. Doch im Grunde genommen ist im Nordwesten Ecuadors vieles längst nicht mehr reparabel, was die Erdölförderung zerstört hat. Ein Gefühl unbestimmten Verlustes schleicht sich ein. War der Regenwald in den 90er Jahren nicht gerettet worden?
1964 erhält Texaco die staatliche Erlaubnis, in Ecuador nach Erdöl zu suchen. 1967 erfolgt die erste Bohrung in Lago Agrio. 72 Milliarden Liter hochgiftige Abwässer werden in die Amazonas-Zuflüsse gekippt, toxischer Schlamm in Bassins verklappt. 1992 übernimmt das Staatsunternehmen Petroecuador die Anlagen. Texaco wird 2001 von Chevron aufgekauft.
1993 findet der erste Prozess gegen Texaco in New York statt. Chevron erreicht 2002 die Verlagerung des Prozesses nach Ecuador. Ende 2010 soll das Urteil fallen.
2007 initiiert Präsident Correa die Einrichtung eines UN-Treuhandfonds bei Verzicht auf die Förderung von Öl unter dem Yasuní-Nationalpark. Der Fonds wird 2010 ins Leben gerufen. Bis Ende 2011 müssen 100 Millionen Euro zusammenkommen. Der deutsche Beitrag steht unter der schwarz-gelben Bundesregierung in Frage. Entwicklungsminister Dirk Niebel befindet sich derzeit auf Südamerikareise - Ecuador lässt er aus. (kaz)
"Für uns als Cofanes gibt es kein Zurück mehr. Wir können nicht mehr fischen und jagen, alles ist voller Schwermetalle. Wir ernähren uns von Supermarktprodukten. Unseren Kindern können wir lediglich noch unsere Sprache vermitteln; sonst ist von unserer Kultur nicht mehr viel geblieben", konstatiert Criollo resigniert, der heute Gemeindevorstand von Durano ist. Das Dorf mit den robusten Holzhäusern liegt versteckt hinter einer Sandbucht des Flusses Aguarico und ist nur mit dem Kanu zu erreichen. Ein kleines Idyll unter Palmendächern, so scheint es. Doch allzu weit ist das nächste Bohrloch auch hier nicht entfernt. Wie alle Gemeindenamen in der Region ist auch der Name "Durano" von der nächstgelegenen Förderanlage übernommen.
"Als es vor 40 Jahren an der Küste immer längere Dürreperioden gab, packten wir unsere Sachen und reisten über die neu gebaute Überlandstraße hierher", berichtet Segundo Jaramillo von der Bauerngewerkschaft 1. Mai. Rund 40.000 Menschen taten es ihm damals gleich, gefördert von staatlichen Programmen. "Mein Ziel war es, meine Kinder ohne Hunger großzuziehen, und hier ist mir das gelungen", sagt Jaramillo stolz. Von dem kleinen Hügel, auf dem sein Haus steht, schaut der braungebrannte Mann über die tropische Ebene. "Erst später sahen wir dann die Rohölhalden, die ewigen Gasfackeln und das metallisch-rötliche Wasser, das von der Kompanie einfach auf die Straßen gekippt wurde und schließlich auf unseren Feldern versickerte."
Die Förderanlage Shuara 24 liegt keinen Kilometer von Jaramillos Haus entfernt und mutet wie die Kulisse eines düsteren Zukunftsfilms an. Von der Straße aus ist ein runder See mit einem Steg zu erkennen. Doch beim Näherkommen wird deutlich, dass sich dort kein Wasser dunkel in der Tropensonne spiegelt, sondern tiefschwarzes Öl. Das farblos glänzende Schwarz bildet einen starken Kontrast zu der sattgrünen Fauna und der roten Erde, die es umgeben. Über dem See aus Öl ragen drei Metallrohre in den grellblauen Himmel. Aus der Tiefe strömendes Gas wird hier abgefackelt und erfüllt die flimmernde Luft über der Anlage mit einem unheilvollen Zischen.
Wird der See von Shuara 24 von Regenwasser überschwemmt, kann er ablaufen. Einfach den Berg herunter, in weitere dunkle Teiche ohne Boden, ohne Wände, ohne Filter. Gegenüber der Bevölkerung behaupteten die Ingenieure von Texaco mitunter, dass diese Abwässer deshalb so schäumten, weil sie mit Vitaminen angereichert wären. Welche gesundheitlichen Risiken das Leben nahe den Erdölanlagen rund um die schnell anwachsende Stadt des "sauren Sees", Lago Agrio, barg, verschwiegen sie. Trotzdem organisierte sich ein breites Bündnis aus sechs indigenen Gruppen und Tausenden von Siedlern, die "manches Mal den Leuten von der Kompanie den Zutritt mit der Schrotflinte verweigerten", berichtet Segundo Jaramillo.
Der Bundesstaat Sucombio wurde immer wieder militarisiert und mit Ausgangssperren überzogen, der Erdölabbau zum staatlichen Sicherheitsinteresse erklärt. Doch für die Menschen ging es schlicht ums Überleben. "Wir sind umgeben von Flüssen, Bächen und Sümpfen. Trotzdem gibt es kein Trinkwasser, weil das Wasser vergiftet ist und Magenkrämpfe verursacht. Irgendwann kriegen die Leute dann Krebs", sagt der Bauerngewerkschafter Jaramillo bitter.
Drei Todesopfer forderte die Krankheit bereits in der Familie von Servio Cuiripoma, die ebenfalls aus der Küstenregion zuwanderte. Vor ein paar Wochen wurde nun auch Servios Bruder mit Tumorverdacht ins Krankenhaus eingeliefert. "Dort ist der Brunnen, aus dem wir 25 Jahre lang unser Wasser holten", sagt der untersetzte 44-Jährige, der mit Gummistiefeln über das Gelände läuft. "Ständig hatten wir Hautausschlag und Pilzinfektionen. Meine Eltern und mein Onkel sind schließlich an Krebs dahingesiecht." Servio und seine Geschwister verkauften zunächst die Tiere, dann die Maschinen. Zum Schluss verschuldeten sie sich bei der Bank, um für Operationen und Chemotherapien aufzukommen. "Aber retten konnten wir sie doch nicht."
In der Region gibt es dreimal so viele Krebspatienten wie im übrigen Land. Die jetzige Regierung hat dieses Jahr sogar mit dem Bau einer Spezialklinik in Lago Agrio begonnen. Unterdessen fahren das staatliche Erdölunternehmen Petroecuador und andere multinationale Unternehmen mit der Förderung fort. Nahe den Bohrtürmen des französischen Konzerns Brenco wurden in aktuellen medizinischen Studien sogar genetische Veränderungen bei Anwohnern festgestellt; verursacht durch radioaktives Material, das mit dem Erdöl an die Oberfläche des Amazonasgebiets tritt.
Servio Cuiripoma hofft, das wenigstens im Gerichtsverfahren gegen den Chevron-Vorgänger Texaco bald ein Urteilsspruch verkündet wird. Doch viel mehr noch kann er sich zur Zeit für die Yasuní-Initiative begeistern, deren Diskussion er gespannt in den nationalen Nachrichten verfolgt. Er hofft, dass diese durchkommt; trotz aller Hindernisse, und das zentrale Amazonasgebiet von den Erdölfirmen unangetastet bleibt. "Das, was hier passiert ist, wünsche ich wirklich niemandem." Sein neues Haus hat Servio schließlich in einem sicheren Abstand zu allen Bohrlöchern und Bassins gebaut. So weit das möglich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“