Erdoğan baut Atomkraft aus: Türkischer Meiler mit Putins Hilfe
Als eines von wenigen Schwellenländern setzt die Türkei weiterhin auf Atomkraft – trotz bester Voraussetzungen für erneuerbare Energien.
Um diesen wachsenden Strombedarf zu decken und gleichzeitig nicht noch mehr Devisen für den Import von Gas und Öl ausgeben zu müssen, will die türkische Regierung möglichst schnell heimische Energiequellen ausbauen. Sagt sie jedenfalls. Doch statt den Königsweg einzuschlagen und die Kapazitäten von Sonnen- und Windenergie dramatisch auszubauen – gerade angesichts der privilegierten Lage des Landes, was Sonnenstunden und Windstärken entlang der tausenden Kilometer langen Küste angeht – will die türkische Regierung unbedingt Atomkraftwerke bauen.
Anschauen kann man sich das an der Mittelmeerküste in Akkuyu bei Mersin, wo seit 2015 das erste große AKW im Bau ist. Hier ragen bereits die Stahlbetonskelette von zwei Blöcken des zukünftigen Reaktors in den Himmel, vor wenigen Tagen wurde im Beisein des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seines türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan (beide per Video) der Grundstein für den dritten Reaktorblock gelegt. Ein vierter soll demnächst folgen. Wenn einmal alles läuft, soll das AKW zehn Prozent des gesamten türkischen Strombedarfs decken können.
Parallel zur Baustelle am Mittelmeer bereitet die Türkei zwei weitere AKW-Projekte vor, die beide am Schwarzen Meer gebaut werden sollen. Ein Standort ist bereits in Sinop festgelegt, einer Halbinsel, die weit ins Schwarze Meer hineinragt. Erst vor wenigen Tagen gab das Energieministerium bekannt, dass das Umweltgutachten für Sinop abgeschlossen sei. Es gäbe keine Bedenken. Ein zweiter Standort nahe der bulgarischen Grenze befindet sich noch in einer vorläufigen Prüfphase.
Kostspieliges Hindernisrennen
Doch was sich von Regierungsseite wie eine große Erfolgsgeschichte anhört, ist tatsächlich ein kostspieliges Hindernisrennen, das sich schon Jahrzehnte hinzieht und die Türkei trotz gegenteiliger Behauptungen weiter in die Abhängigkeit vom Ausland führt.
Die jüngste Schlappe in diesem Hindernisrennen um die Atomkraft gab es in Sinop. Ein bereits 2015 unterschriebener Vertrag mit einem japanischen Konsortium unter Führung von Mitsubishi platzte 2019, weil die Japaner sich mit der türkischen Regierung nicht über den Preis einigen konnten, den die Regierung nach Fertigstellung des AKW 20 Jahre lang fix an den Konzern zahlen sollte. Zur Zeit sucht die Türkei nach einem neuen internationalen Partner, was zeigt, dass die Hürden für ein solches Projekt sehr hoch sind und die türkische Bevölkerung am Ende für den Atomstrom sehr tief in die Tasche greifen müsste.
Denn Atommeiler sind teuer, und die Türkei hat kein Geld dafür. Sie will die Kraftwerke komplett von ausländischen Konzernen bauen und betreiben lassen – und bietet dafür dann Abnahmegarantien für 15 oder 20 Jahre zu Preisen, die so hoch sein müssen, dass die AKW-Betreiber damit Profit machen können.
Deal durch Staatskonzern
Weil diese Ausgangslage so komplex ist und sich privatwirtschaftlich nicht rechnet, ist bislang nur ein Deal mit dem russischen Konzern Rosatom zustande gekommen. Und möglich war das auch nur, weil Rosatom ein Staatskonzern ist und der russische Staat quasi eine Garantie dafür übernommen hat, alle Kosten zu decken. Eine strategische Entscheidung vom russischen Präsidenten Putin, die weniger wirtschaftlichen Erwägungen folgt, sondern vor allem dazu dienen soll, die Türkei im Energiebereich weiterhin in Abhängigkeit von Russland zu halten, selbst wenn in Zukunft die Gas- und Öllieferungen zurückgehen sollten.
Die Akkuyu Project Company (APC) ist zu 100 Prozent Rosatom, die Kosten sind mit 17 Milliarden Dollar veranschlagt und es ist vertraglich vereinbart, dass der russische Anteil auch in Zukunft nicht unter 51 Prozent fallen darf. Wenn die ersten Blöcke Strom liefern, wird die staatliche Elektrizitätsgesellschaft der Türkei 15 Jahre lang zu einem garantierten Preis 70 Prozent der Produktion abnehmen, von den Blöcken 3 und 4 dann später 30 Prozent. Der Rest soll auf dem freien Markt verkauft werden.
Option für Atombombe
Gebaut wird das AKW komplett von russischen Ingenieuren. Erst später sollen auch türkische Ingenieure dazukommen, die in Moskau ausgebildet werden. Rosatom bringt auch das Uran in die Türkei. Allerdings hat sich Russland verpflichtet, auch in der Türkei eine Urananreicherungsanlage zu bauen.
Angesichts der Kosten und der Abhängigkeit von Russland, die das Projekt mit sich bringt, sind Kritiker der Meinung, der eigentliche Grund für den Bau von AKWs sei nicht der Energiebedarf. Vielmehr wolle man sich die Option für den Bau einer Atombombe offenhalten. Denn wenn es darum ginge, schnell und kostengünstig mehr heimische Energie bereitzustellen, wären Sonnen – und Windenergie wesentlich effizienter.
In einer jüngst vorgelegten Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) für das Jahr 2021 wird dazu angemerkt, dass die Türkei, obwohl sie in den vergangenen Jahren vor allem die Windenergie etwas ausgebaut hat, bislang das Potential für Wind- erst um 15 Prozent und das Potential der Sonnenenergie gar erst um 5 Prozent ausgeschöpft hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste