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„Er wäre nicht Roßkopf II“

■ Tischtennistalent Timo Boll hilft dem DTTB beim 4:1 im Europaligafinale gegen Polen

Karlsruhe (taz) – Den Vergleich mit Jörg Roßkopf hat sich Timo Boll schon häufig gefallen lassen müssen. „Das ist so ein bißchen zur Standardfrage geworden“, sagt der junge Mann aus Höchst im Odenwald, entsprechend begegnet er einfallslosen Reportern mit einer Standardantwort. „Ich sage dann immer, daß es noch ein weiter Weg ist, um dorthin zu kommen, wo der Jörg ist“, verrät Boll. Den Satz rattert er fast mechanisch runte.

Dorthin, wo der Jörg ist – zumindest das gleiche Ziel wie Roßkopf, der Vorzeigeathlet des Deutschen Tischtennisbundes, hat Boll (17) im Visier. „In die Weltspitze“, will er es schaffen, „das will doch jeder“, sagt er, was erstaunlich unspektakulär klingt. Er ist schließlich schon wer. In Karlsruhe steuerte er gestern nachmittag beim 4:1 im Finalhinspiel der Europaliga gegen Polen einen Punkt bei. Er schlug Tomasz Kreszewski 21:28, 21:18. Es war überhaupt ein gutes Wochenende für die Deutschen: Die DTTB-Frauen schlugen in ihrem Finalhinspiel Ungarn 4:2. Daß einer mit 17 überhaupt in so einem Finale mitmacht, ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. Zumal im deutschen Tischtennis, wo die Bundesligamannschaften meist von ausländischen Spielern bevölkert werden, die dem nationalen Nachwuchs die Chance rauben, an starken Gegnern zu wachsen. Boll, der mit der mittleren Reife von der Schule abgegangen und seither Profi ist, spielt für den Erstligisten TTV Gönrern, die Verbindung gilt in der Szene als Glücksfall.

Schon deshalb, weil beim TTV alles auf den mehrfachen Schüler- und Jugendeuropameister zugeschnitten ist: So werden lediglich die Heimspiele in Gönrern ausgetragen, das Training aber findet für die komplette Mannschaft im rund 160 Kilometer entfernten Höchst statt, Bolls Heimatort. So darf Boll nach wie vor die Nestwärme des Elternhauses spüren, was seiner sportlichen Entwicklung nachweislich förderlich ist.

Schon letzte Saison hat sich Boll mit einer überragenden Bilanz ins vordere Paarkreuz gespielt, dort konnte er in dieser Runde bisher 13 seiner 21 Bundesligapartien gewinnen, zuletzt dran glauben mußten gar der Weltranglistenerste Vladimir Samsonov von Borussia Düsseldorf und Ding-Song von den TTF Bad Honnef, der als bester Abwehrspieler der Welt gilt. Fast nebenbei hat Boll schon im Vorjahr seinem Verein den DTTB-Pokal beschert, im Finale gegen Frickenhausen spielte er überragend. Die deutsche Meisterschaft sicherte er sich in Abwesenheit von Jörg Roßkopf obendrein, als jüngster Spieler in der Nachkriegszeit.

Im Dezember wurde er von den Lesern des Verbandsblattes Deutscher Tischtennis Sport zum Spieler des Jahres gewählt. Seine Europaligabilanz steht seit gestern bei 5:1 Siegen. Den Kopf verdrehen läßt sich Boll deshalb nicht. „Ich muß meine Leistungen noch konstanter bringen“, sagt er selbstkritisch, genau das gefällt DTTB-Spitzensportkoordinator Dirk Schimmelpfennig. „Er ist schon unheimlich komplett und hat kaum Schwächen“, lobt der. „Seine größte Stärke aber ist, daß er noch nicht das erreicht hat, was er erreichen will.“ Wohin das führen kann, wagt auch Schimmelpfennig noch nicht zu prognostizieren. Eine Ahnung davon freilich hat er: „Es gab jahrelang einen Jörg Roßkopf, der das deutsche Tischtennis geprägt hat: Der nächste, der das schaffen könnte, wäre nicht Jörg Roßkopf II, sondern Timo Boll.“ Vergleiche sind also völlig überflüssig. Frank Ketterer

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