: Er schmirgelt Pumps auf alt
■ Manchen Schuhen allerdings näht Schuhmacher Harting auch ein rosa Spitzengewand / Theater von hinten (9)
„Dieser Schuh war schon mal im Fernsehen“, sagt Günther Harting stolz und zeigt dabei auf das barocke Exemplar eines Damenpumps mit spitzenverziertem Oberteil und goldenem Absatz. Das war einmal ein ganz normaler Pumps, der erst durch die Arbeit des Theater-Schuhmachers Günther Harting seinen Stil gefunden hat.
Hinter dem Schild „Schuhmacherei“ verbirgt sich auf einem der nüchternen Flure des Theaters am Goetheplatz ein kleiner Zwei-Mann-Betrieb, der das Handwerk noch in der traditionellen Art und Weise ausführt: Hier werden manchmal sogar noch Schuhe hergestellt. In der freien Wirtschaft ist das gar nicht mehr möglich, sagt Harting. „Wenn die Wirtschaftslage weiter so bleibt, wird nur noch gekauft und dann weggeworfen.“
Zum Theater ist Schuhmacher Harting selbst nur durch Zufall gekommen: das Arbeitsamt hatte ihn vor 18 Jahren dorthin vermittelt. Die Vielfältigkeit der Arbeit spricht ihn, wie alle anderen KollegInnen der Handwerksparten im Theater, besonders an. Denn hier repariert er nicht nur Sohlen und Absätze wie in der freien Wirtschaft die meisten der SchuhmacherkollegInnen. Heute zum Beispiel liegen vor ihm zwei „Conturnen“: zwei Holzklötze, auf die die Schuhe montiert werden.
TänzerInnen brauchen meist sogar zwei Paar Schuhe, ein Paar zum Training, eins für die Aufführungen – beide möglichst identisch. „Sonst kommen die mit dem Gefühl durcheinander“, weiß Harting. Auch für die Sicherheit muß er sorgen. „Wenn eine Schräge auf der Bühne ist, müssen Gummisohlen drunter, damit mir keiner abrutscht.“
Von sämtlichen SchauspielerInnen, SängerInnen und TänzerInnen hat Harting nicht nur die Schuhgröße, sondern sämtliche Fußmaße. Auf einem weißen Blatt Papier ist die Kontur des Fußes (mit Strumpf) aufgezeichnet und mit fünf Maßen versehen. „Wichtig ist vor allem das Knöchelmaß und die Wade.“ Nur bei den StatistInnen genügt ihm die Schuhgröße.
Wenn die KostümbildnerInnen ihre Wünsche geäußert haben, geht Harting zunächst mal im Fundus wühlen: dort stehen über 10.000 Schuhe im Regal. Nach Farben sortiert: „Hier haben wir die schwarzen Herrenslipper und da die Schnürschuhe, Stiefel, Schläppchen, Pumps, Pantoffeln, Charakterschuhe, Jazzschuhe, und hier die Spitzenschuhe, für die kleinen Füßchen“, sagt er, und zieht ehrfürchtig eine kleine Kiste mit blaßrosa glänzendem Satin heraus. Selbst die Tanzschuhe werden umgeändert, vorne kommt zur Rutschhemmung ein Lederplättchen drauf.
Aber am meisten Arbeit steckt in den Barockschuhen für die Oper. Die werden mit Spangen versehen, und mit schillernden Stoffen bezogen. Einige haben schon viele Farben gehabt. Wobei das Färben in dem kleinen Raum nicht ganz unproblematisch ist. Aber das „schlimmste Risiko“ sei immer noch der Staub. Doch richtig „schlimm“ zumute ist dem Schuhmacher erst, wenn er niegelnagelneue Schuhe auf alt trimmen muß. „Da müssen wir dann richtig mit Schmirgelpapier ran, damit sie alt aussehen, und Dreck raufschmieren, oder sogar aufschneiden... das tut weh.“
Vivianne Agena
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