: Entwirrte Exotik
Falsche Marterpfähle: Die indianischen Künstler Jimmie Durham und Seven Deers in Hamburger Museen ■ Von Hajo Schiff
Versponnene New-Ager wissen es genau: Indianer haben einen besonderen Draht zur Natur. Und im mehrheitlich Karl-May-geschulten Deutschland hat nahezu jedeR gelesen, daß die edlen Wilden es besonders lieben, sich mit Federn zu schmücken und Totempfähle zu bauen. Währenddessen versuchen Amerikas Juristen und Politiker heute genau abzugrenzen, was ein Indianer ist. All das erscheint den noch existierenden Indianern gleichermaßen seltsam.
In einem solchen Kontext der Ent- und Verwirrungen stehen zwei Ansätze aktueller Kunst von einander unbekannten Indianern, die zur Zeit in Hamburg zu sehen sind: Der in der internationalen Kunstwelt längst geschätzte Cherokee Jimmie Durham hat seine erste deutsche Einzelausstellung im Kunstverein, und der Halkomelem David Seven Deers schnitzt im Auftrag seines Stammes aus einem 600 Jahre alten Zedernstamm einen Totempfahl im Hof des Völkerkundemuseums. Beide Künstler aber korrigieren damit Erwartungen an museale Traditionspflege oder billige Exotik. Denn obwohl ihre Arbeiten sogleich als „indianisch“ zu erkennen sind, geht es um einen viel komplexeren Umgang mit durch eingezäunte Reservate und Vertreibung gebrochenen Identitäten.
Der traditionell erzogene Cherokee ist ein EG-Indianer und lebt in Dublin, der Halkomelem- Skwah-la hält sich ebenso oft in München wie bei seinem nordwestkanadischen Stamm auf. Weder der blauäugige Durham noch der fließend bayerisch sprechende Seven Deers taugen für exotische Projektionen – vielmehr sind genau diese Gegenstand ihrer Arbeit. Echte indianische Identität kommt nur noch im Museum oder im Märchen vor, und indianische Kunst ist zu weiten Teilen eine kulturelle Erfindung der weißen Verwaltung für die marginalisierten letzten Ureinwohner.
In diesem unscharf definierten Feld arbeitet Jimmie Durham an mehreren Fronten der Kulturpolitik. In der Hamburger Ausstellung begrüßt ein typisches Indianertotem die Besucher: Unter einem bekrönenden Adler werden an einem Holzpfahl eine Reihe von Namen als Vorbilder angeboten, der Titel lautet „Choose any three“. Zwar in moderner Auswahlvielfalt, scheint das Objekt ganz indianischer Tradition verhaftet, bis plötzlich die Ähnlichkeit mit altrömischen Legionsstandarten auffällt. Eindeutige Zuordnungen werden zwischen Federn und Schlangenhaut, Sägeblättern und Verkehrsschildern, Perlen, Knochen und Autoteilen ständig irritiert.
1940 in Arkansas geboren, lernte Durham noch traditionelles Handwerk, studierte ab 1968 Kunst an der Ecole des Beaux Arts in Genf, war als Mitglied des American Indian Movement in den 70er Jahren Gründungsdirektor des International Indian Treaty Council bei der UNO und hat sich seit den 80er Jahren als Autor und Künstler einen Namen gemacht. 1992 war er auf der documenta9 vertreten.
Seine Lieblingsfiguren in der Geschichte sind Grenzgänger: Pocahontas, die Indianerin, die ganz romanhaft einem englischen Kapitän das Leben rettete und mit ihm nach London ging (oder vielleicht doch nur ganz einfach entführt wurde), und Malinche, die indianische Prinzessin, die als Geliebte und Dolmetscherin des Hernan Cortez die blutige Eroberung Mexikos erst ermöglichte, aber auch für einen letztlich überlebensfähigen Kulturtransfer sorgte. Eine sich auf beide Frauen beziehende Skulptur dominiert die weite Ausstellungshalle neben dem Selbstporträt des Künstlers. Diesem sind Vorurteile gegenüber seiner Herkunft als Sprüche in den Körper eingeschrieben – einen Körper, dessen vermeintliche Rohheit durch einen großen bunten Penis betont wird.
Ein mehrschichtiges Spiel mit der Zuweisung von Identität sind auch die Arbeiten, die aus dem angeblichen Nachlaß von Caliban stammen. Der Wilde aus Shakespeares Drama „Der Sturm“ bedankt sich in einem Brief an den gelehrten Dr. Prospero für dessen Hilfe bei seiner Menschwerdung, betont aber, er habe noch Schwierigkeiten, das Bild seiner Nase zu finden.
Die Eroberer selbst haben weniger Probleme mit ihrem Bild der anderen. In Auseinandersetzung mit dem Museum of the American Indian in New York karikiert Durham die Archivierung indianischen Lebens in seltsamen Objekt- Vitrinen und zeigt Fotos, bei denen die authentischen Bilder von jungen Stammeskriegern gestellt, die kaum glaubhaften Fotos ihrer Eltern in europäischen Sonntagskleidern dagegen echt sind.
Weniger ironisch geht David Seven Deers mit den Projektionen europäischer Sichtweisen um. Hinter den echten Vitrinen des Völkerkundemuseums arbeitet er an seiner tonnenschweren Plastik, die die eigentlich oppositionellen Symboltiere Lachs und Otter in endloser Kette verschmilzt. Auch hier handelt es sich nicht mehr um ein traditionelles Totem, sondern eine freie Adaption dieser Form. Sein Anliegen ist im engeren Sinne direkt auf seinen Stamm bezogen: Er will mit der Arbeit Geld für den Bau eines Zeremonial-Rundhauses verdienen, in dem zum ersten Mal seit 150 Jahren durch die traditionellen Erzählungen nach Art der oral culture eine neue, nicht museal oder ethnologisch bestimmte Stammeskultur definiert werden kann. Spenden oder die Hilfe der kanadischen Regierung lehnt er ab: „Fragt nicht, was ihr für uns tun könnt, tut was für euch!“
Beiden Künstlern geht es um Strategien zum Fortbestand der Indianer im 21. Jahrhundert. Und dieses Überleben wird nicht nur für die eigenen Stammesgenossen schwer sein, meint Jimmie Durham. Er sieht keine Hoffnung mehr für politische Lösungen, gelang es ihm doch selbst bei der UNO in jahrelanger Arbeit nicht, auch nur das kleinste Problem im Sinne der Indianer wirklich zu lösen. „Hoffnung ist anti-intellektuell... und doch müssen wir so tun, als ob es Hoffnung gäbe und weiterarbeiten, damit die Möglichkeit zu Überraschungen bestehen bleibt.“ Durham ist die Kunst geblieben. Politisch hat er die Vision kleiner, selbstorganisierter Volkseinheiten: Gemäß dem Vorbild Jugoslawiens und der UdSSR glaubt er an den Zerfall aller Staaten, auch wenn dies kurzfristig erstmal zu viel Chaos und Elend führen wird.
Jimmie Durham, bis 27. November im Hamburger Kunstverein. Statt eines Katalogs ist dort „A certain lack of coherence“, ein Essayband von Durham über Kunst- und Kulturpolitik, für 28 DM erhältlich.
Totem-Pole-Project von Seven Deers, bis 30. November, Hamburgisches Museum für Völkerkunde.
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